NEU! Unterirdische Radtour auf Schienen für kleine Menschen

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

01 Juni 2025

Spree: Von Eibau nach Malschwitz

Wull'n mer de Berliner fubb'm, brauch mer ock de Spraa zustubb'm.
Mit diesen Worten trollten die Oberlausitzer die Berliner schon lange, bevor es das Wort trollen gab. Denn ihnen gehören die unbekannten Quellen für den Fluss, der in erster Linie einfach deshalb bekannt ist, weil er rein zufällig durch Deutschlands Hauptstadt fließt.


Trotz sinkender Grundwasserspiegel müssten die Lausitzer eine ganze Menge zuzustubbn, denn alle drei Quellen sprudelten eifrig. Könnte damit zusammenhängen, dass auch der Himmel eifrig sprudelte.
Die Walddorfer Quelle ist etwas, das ich noch nie gesehen habe: Das riesige rundes Natursteinbecken dient gleichzeitig als Denkmal für die Toten des Ersten Weltkriegs. Und es ist durchaus ein Denkmal mit Atmosphäre. Die runde Wand wirkt sowohl groß als auch beklemmend. Angeblich kommt das Wasser aus den sogenannten Blauen Steinen, aber für mich sah das alles grau aus.

Wir befinden uns am Hang eines Berges namens Kottmar Zittlau.
Der Sage nach regierte in diesem paradiesischen Wald der Zwerg Gorbod neben einer stabilen Population kleiner Elfen, die auf den Wasserreichtum des Berges aufpassten. Das ökologisch-mythologische Gleichgewicht kippte, als die Elfen Gorbod mit Gesang neckten und dieser daraufhin so laut lachte, dass die Elfen vertrieben wurden. Gorbod schleuderte wütend einen Speer auf den Berg, und die Spree begann herauszusprudeln.
Sie plitschert durch spitze Steine und matschige Blätter im nicht minder matschigen Farnwald am Hang des Kottmar. Hier gibt es wunderbare Wanderwege wie zum Beispiel den (und das ist jetzt kein Schwerz) Popelweg. Mit 47 Metern ist das der höchste und wahrscheinlich auch längste der drei Quellbäche. Trotzdem erhebt Walddorf keinen Anspruch darauf, die wahre Spreequelle zu haben - alle drei Dörfer haben sich längst geeinigt, dass ihre Quellen gleichrangig sind.
Wie kommt man da hin? Kein Problem, jedes Dorf hat hier seinen Bahnhof. Ich bin am Bahnhof Eibau (neben Walddorf) ausgestiegen, zusammen mit einem älteren E-Bike-Paar. Sie telefonierten mit ihrer Unterkunft, ich stürzte mich gleich raus in den Regeln und strampelte die Dorfstraßen und den Waldmatsch hinauf. Oben begegnete ich dem spreelektrischen Radlerpaar wieder. Sie hatten eine trockene Unterkunft unten im Dorf, aber hatten sich trotzdem nochmal aufgerafft, um heute zumindest die Spreequelle zu sehen. Dann wollten sie wissen, wie weit ich noch fahren würde. Die Antwort "Mal sehen" schien sie zu schockieren, denn von dieser sächsischen Stadt hatten sie noch nie gehört. 

Die Neugersdorfer Spreequelle ist ein abgesenkter quadratischer Brunnen aus heimischem Granit. Aber der Boden sieht nicht sehr bodenständig aus, sondern eher wie die Küchen-Arbeitsplatte in einer supermodernen Villa, die aber von so schlechter Qualität ist, dass sie von einem Häuflein Natursteine total eingedrückt wurde. Und unter diesem Häuflein plitschert es so eifrig raus, dass das die wasserreichste Quelle darstellt.
Ursprünglich lag die Quelle auf der Pfarrwiese, wo heute eine Straße ist. Mit dem Straßenbau und dem Bau des Freibads wurde sie ständig verrohrt und verlegt. Das Freibad beginnt gleich hinter der Quelle und hat als Markenzeichen eine kurze "Spreegeistrutsche", bei dem die Kinder direkt aus einem furcherregenden Monstermaul rutschen. Auf welcher Sage dieses gefräßige Gespenst nun wieder beruht, wird nicht erklärt, aber mir scheint er sehr von den Geschichten aus dem benachbarten Tschechien beeinflusst zu sein (Stichwort Jožin z Bažin a.k.a. Emil Schlemil).

Nur ein kurzes Stückchen weiter versteckt sich in einem Park auch schon die Ebersbacher Spreequelle (eigentlich liegt sie auch eher in Neugersdorf). Auch sie ist ein abgesenktes Quadrat, diesmal ist der Boden aber komplett mit Wasser bedeckt - und das, obwohl ein metallener Pavillon den Regen abhält.
Auch diese Quelle kann einen Rekord aufweisen, sie ist nämlich die älteste. Ursprünglich stand hier ein Holzhäuschen mit Zwiebelturm, für dessen Bau Friedrich II. großzügige 50 Taler spendete. Das war nicht nur Deko, sondern damals noch kritische Infrastruktur - hier holten die Bewohner ihr Trinkwasser, bis die Industrialisierung Wasserleitungen brachte. Das Holzhaus verfiel, und diesmal wollten die Regierenden keinen Neubau finanzieren. Das einfache Volk musste selber Spenden sammeln, um das heutige Dach zu bauen. Über zwischen all den Metallschnörkeln sind die Wappen der damaligen Provinzen eingebaut, durch die die Spree fließt.

Diese ganzen Dörfer bilden mehr oder weniger eine zusammenhängende Kette. Dieser Bereich der Oberlausitz ist überraschend dicht besiedelt, weil er früh eine Bahnlinie bekam und mit Textilhandel reich wurde. Die Bahn wickelt sich in vielen Bögen um die Hügel, der Spreeradweg führt oben drüber. Aber nachdem ich erstmal oben auf dem Kottmar drauf war, konnte ich die anderen Steigungen meist durch Abkürzungen umgehen.
Vorher aber wollte ich nochmal den Blick genießen, denn trotz des Wetters konnte ich überraschend weit sehen. Dass sich das Land in der Ferne im Regen versteckt, schadet der Aussicht nicht, im Gegenteil.
Das besagte Land hinten im Bild heißt übrigens Tschechien. Und das hat enorme Auswirkungen auf die Architektur.

Als ich Reiseführer nachsah, was die Dörfer so für Sehenswürdigkeiten haben, gab es eine Konstante: Umgebindehäuser. Als ich nachsah, womit sich die kleinen Heimatmuseen so beschäftigen: Umgebindehäuser. An sich kenne ich diese Verschmelzung deutscher und tschechischer Bauweise ja schon von der Kirnitzsch, aber an der Spree habe ich gelernt, dass Umgebindehäuser noch viel schöner und farbenfroher sein können. Die Bögen und Bohlen unten haben so ziemlich alle Farbtöne, die man sich vorstellen kann, und sogar das Schiefer oben lässt sich mit Blumenkästen und Mustern aus weißen Platten auflockern. Einfach schön!

Umgebindehäuser, Umgebindehäuser, Umgebindehäuser, natürlich auch direkt an der Spree. Wahrscheinlich hätte ich lieber in diesem Post erklären sollen, was ein Umgebindehaus eigentlich ist, aber jetzt habe ich es schon bei der Kirnitzsch-Radtour beschrieben, tja, dann müssen sie es halt dort nachlesen.

Auch politisch befremdliche Umgebindehäuser mit kaiserlicher Sonnenuhr oder FDJ- und DDR-Flagge (Deutscher durch Geburt, Ossi durch die Gnade Gottes) gehören zum Ensemble.

Und sogar die Holzbögen der Rasthütten sind an diese Bauweise angelehnt. Ansonsten lagen in dieser Hütte eine Malmappe für die kleinen Gäste, ein Überblick über die Standorte der Robotron-Firmengruppe und ein Bank- und Versicherungslexikon. Wahnsinn, woher wusstet ihr, dass ich ausgerechnet das während der Pause lesen wollte? Da lasse ich Wind and Truth doch gleich links liegen. Nicht.

Immer öfter konnte ich direkt an der Spree fahren, diese Abschnitte hatten viel von einem Park mit dem kurzgemähten Rasen und den steinernen Bogenbrücken. Nur einmal gabelte sich die Spree und hatte ein paar zahme Stromschnellen, oder sollen das Fischtreppen sein?

Daran änderte sich auch wenig, wenn der Radweg mehr Abstand zur Spree hielt, zum Beispiel hier. Das ist einer der zwei kurzen Abschnitte, wo die Spree zur deutsch-tschechischen Grenze wird. Richtig rüber nach Tschechien geht sie sich allerdings nicht, und ich ebensowenig.

Denn am Stausee Sohland knickt die Spree nach etwa 33 Kilometern auch schon in Richtung Norden ab. Schon? Für das Stückchen habe ich trotz der Abkürzungen ewig gebraucht!
Trotz Fontäne und Ausflugsgaststätte war der See gerade nicht so richtig einladend, also versuchte ich lieber, etwas Tempo zu machen. Auf mich wartete eine Stadt, die ich heute eigentlich schon noch gern erreichen wollte.

Und so bin ich auch gleich viel motivierter!
Es tauchten allerdings nicht nur Felswände auch, sondern auch vergessene Landmaschinenfabriken und andere Lost Places. An einem Gebäude schimpfte ein Zettel: Hey Du stinkendfauler Schmutzfink! An der Kreuzung oben sind 2 Papierkörbe! Nur 50 Meter. Leider war er nicht laminiert und damit ungültig, dennoch lag kein Müller mehr drumherum.

Und dann habe ich es tatsächlich bis Bautzen geschafft (und, Spoileralarm, sogar noch weiter). Das ist eine außergewöhnlich schöne Stadt, in der noch 1400 mehr Menschen als in Dresden gewohnt haben. Die Straßen im Zentrum haben seit 1648 denselben Grundriss. Man nennt sie auch Stadt der Türme, weil... Türme. 5 bis 10 Prozent der Einwohner sind Sorben, haben hier ein eigenes Theater, eine eigene Zeitung haben und nennen die Stadt Budyšin.
Wahrscheinlich hat hier unten die Via Regia, Europas wichtigste Ost-West-Handelsroute, die Spree überquert, und gleichzeitig der Böhmische Steig, eine wichtige Strecke nach Prag.
Diese turmige Altstadt hat zwei unterschiedliche Seiten. Als ich von der Spree hinaufschaute, wie sich die Türme der Ortenburg, Michaeliskirche und die Stadtmauer über mir auftürmten, da sah alles noch wahnsinnig wehrhaft aus, als wäre die ganze Stadt eine Burg.

Als ich dann aber mein Rad den langen Weg die Mauer rauf geschoben und getragen hatte und in die breiten Straßen einbog, da war plötzlich alles... gelb. Gelb, gelb, gelb. Die bunten Umgebindehäuser sucht man hier vergebens. Ich weiß ja, dass diese Stadt für ihren Senf bekannt ist (der sogar ein eigenes Senfrestaurant hat), aber ich hätte nicht gedacht, dass die je einen solchen Produktionsüberschuss hatten, dass sie alle Häuser mit ihrem Senf anstreichen konnten!
Aber eben diese Senffarbe macht die Altstadt ganz besonders. Wie viele Städte habe ich schon gesehen, die im grauen Regenwetter ihren Glanz verloren haben. Bautzen strahlt auch dann noch!
Der Dom (ganz hinten) ist die einzige Similtankirche in Ostdeutschland. Das heißt, der Innenraum ist seit der Reformation geteilt in einen protestantischen und einen katholischen Sitzbereich (zum Glück ohne Mauer und Selbstschussanlagen). Das hätte ich gern gesehen, war aber leider schon geschlossen. Jeden Freitag um 18 Uhr findet ein ökumenisches Friedensgebet statt.

Schließlich schlüpfte ich durch die Nicolaipforte wieder auf der wehrhaften Seite der Stadt raus, das einzige originale Stadttor. Der Stein über dem Torbogen stellt einen Kopf dar - aber wessen? Angeblich soll es der Stadtschreiber Peter Preischwitz sein, der versuchte, Bautzen an die Hussiten zu verraten. Die waren wegen ihrer Angriffe in dieser Gegend eher nicht so beliebt. Als wahrscheinlicher gilt, dass der Kopf einfach nur dem Heiligen Nikolaus gehört (laangweilig).

Hinter der Stadt und der Autobahnbrücke erwartete mich ein weiter Blick über die Talsperre Bautzen, einen deutlich größeren Stausee mit deutlich größerem Strand. Es badete überraschenderweise niemand, aber mehrere Hausboote tuckerten herum.

Ebenso künstlich, aber viel kleiner sind die Gewässer in der Niederguriger Teichlandschaft. Links und rechts zogen die Teiche vorbei, manche gut gefüllt mit Wasser, andere nur eine graue Schlammfläche. Aber alle waren sie gut gefüllt mit Wasservögeln, die entweder schwammen oder im Schlamm pickten.

Inzwischen begann es doch zu dämmern, und ich fragte mich, ob mein Übernachtungsort namens "Mal sehen" nicht langsam mal kommen müsste. Und tatsächlich, da war er, und er hieß Malschwitz. Nachdem ich mir auf der letzten Tour so viele Hotels gegönnt hatte, wollte ich es diesmal wieder etwas sparsamer angehen. Kann ich noch in der Wildnis pennen oder bin ich schon zu verwöhnt dafür? Nope, ich kann es noch, aber bei dem Wetter nehme ich doch zumindest die Rasthütte am Ende der Teichlandschaft. Dort kam ich auch ohne hingekritzelte Motivationssprüche wie Auch wenn es nicht so schnell leichter wird, so wirst du zumindest stärker wunderbar zurecht.

Eine Frage, die ich auf dieser Reise beantworten wollte, war: Wo genau ist denn jetzt die Lausitz und wo leben die Sorben, Wenden und so weiter? Ich weiß, dass das die einzige richtig anerkannte Minderheit in Deutschland ist, aber bei den Begriffen sah ich nicht ganz durch.
Antwort: Ist eigentlich fast alles das Gleiche.

  • Ług: slawisch für Grassumpf
  • Lusitzer: slawischer Stamm, der während der Völkerwanderung im 6. Jahrhundert in die unwirtliche Spreelandschaft zog
  • Sorben: so nannten sich die Lusitzer, nachdem sie sich dort angesiedelt hatten
  • Wenden: so nannten die (West)Deutschen dieselben Menschen
  • Lausitz: erst viel später wurde das ganze Gebiet der Sorben so genannt, heute liegt es halb in Deutschland, halb in Polen, in der Mitte die Neiße
    • Oberlausitz: Südliche Hälfte der Lausitz, bergig mit Heide, heute ungefähr der sächsische Teil
    • Unterlausitz: Nördliche Hälfte der Lausitz, moorig mit viel Wald, heute ungefähr der brandenburgische Teil
Und die Lausitz ist noch lange nicht vorbei! Morgen sehe ich, wie sie im trockenen Zustand aussieht.

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