NEU! Das Bergparkleuchten - leuchtende Wasserfälle in Wilhelmshöhe

Fulda: Von Morschen nach Hann. Münden

02 Februar 2023

Drusel: Von Neuholland nach Kassel

Die Kassler Documenta präsentiert dieses Jahr unter anderem einen Zyklus mit dem Namen Druselpfad. Die verschiedenen Werke drehen sich allesamt im weitesten Sinne um den außerhalb Kassels nur wenig bekannten Bach Drusel, einen Zufluss der Fulda, und den dazugehörigen Wanderweg. Es geht um den Weg des Wassers und den Weg des Menschseins zugleich.

Beginnen wir mit einer Skulptur, die bewusst provoziert, obwohl sie im Grunde nur klassische Baustile wiedergibt. Die Kleine Druselbrücke präsentiert sich als farbenfrohes Mosaik heller und dunkler Sandsteintöne. Sie steht als zweite Brücke direkt hinter der Mündung der Drusel in die Fulda, an der Spitze des Parks des Kassler Parks Karlsaue. Und eben diese Lage macht das Bauwerk so provokant: Die Nähe zur Dokumenta-Halle, dem Regierungspräsidum oder einem grauen Betonwasserfällchen lässt all die größeren Gebäude grau und grässlich aussehen. Mutiger kann Architekturkritik nicht sein!

Vergleichsweise verwaschen und undeutlich kommt diese fotografische Aufnahme aus demselben Park mit dem Titel Nass-Au daher. In einer zielstrebigen Rinne wendet sich die Drusel vom Schloss Orangerie ab, als würde sie den Prunk und Protz des Adels verachten. Dabei ist sie doch selbst Teil ebendieses Prunks. Der Bach, an dieser Stelle eher als eine Art unnatürlich begradigter Bonsai-Kanal daherkommt, hatte ursprünglich eine völlig andere Form: Die Kleine Fulda, ein Arm der großen Fulda und immerhin halb so breit wie diese, umschloss das Parkgelände. Landgraf Moritz ließ sie noch gewähren, als er 1604 die Grundstücke erwarb und einen ersten Landschaftsgarten errichten ließ. Doch als Landgraf Karl diesen zum barocken Park umbaute, war es um die Kleine Fulda geschehen: Fortan durfte nur noch das wenige Wasser des Nebenflusses Drusel das Bett durchfließen. Im Zuge der Bundesgartenschau änderte sie ihre Gestalt noch einmal. Eine interessante Hintergrundgeschichte, doch erklärt sie nicht, warum das Bild so unscharf erscheint. Die Antwort verrät der dumpf-feuchte Farbton des Erdbodens: Es regnet viel zu viel. Mutiger kann Wetterkritik nicht sein.

Zwei breitere Kanäle, Küchengraben und Hirschgraben, durchziehen die Karlsaue und verbinden sie mit dem Aueteich. Auch andere Skulpturen im Park geben Rätsel auf. Warum endet die weiße Hirschgraben-Brücke derart plötzlich und abgehackt? Sollen die Stümpfe der Verschwundenen Bank an die Coronapandemie erinnern, als zahllose unschuldige Parkbänke solchen Massakern zum Opfer fielen? Fragen über Fragen, die sich der geneigte Betrachter selbst beantworten muss.

Von außergewöhnlicher Farbkomposition ist die Fotographie Fluchtvögel. Die zur Hälfe schwarz-weiße, zur Hälfte farbige Aufnahme wurde nur möglich durch einen ganz speziellen Halbfarbfilm. Die Raben scheinen in den farbigen Teil des Bildes zu streben, als hofften sie dort auf eine bessere, wärmere Heimat - auch wenn sich gerade der hintere Teil des Schwarms noch eher unentschlossen und und verstreut zeigt. Inwiefern dies auf aktuelle Ereignisse übertragen werden kann, bleibt offen.

Niedergang des Weinbergs ist eine bewusst überfordernde Fotocollage, die sich einer der bekanntesten Erhebungen Kassels widmet. Der Weinberg, ursprünglich Festungsanlage und Weinanbaugebiet und ein prächtiger Anblick, erhebt sich in beeindruckend raumgreifender Weise über der Karlsaue und der Hauptstraße und lässt die Menschen selbst dann noch staunend aufblicken, wenn sie eigentlich schon oben angekommen sind.
Doch hier wird nicht versucht, diese Pracht, sondern ihr Ende einzufangen. Was nur wenige wissen: Kaum hat der Weinberg Karlsaue und Hauptstraße hinter sich gelassen, erobern bürgerliche Wohn- und Mietshäuser den Hügel und machen der Pracht ein Ende. Zunächst zumindest durch die Höhe beeindruckend, scheint es fast, als würde die Last des Volkes den Berg immer weiter niederdrücken, bis nichts übrigbleibt als ein kleiner Wulst, den schon wenige Treppenstufen überwinden. Thematisch erfolgt an dieser Stelle in der Ausstellung klar der Übergang vom Adel zum Bürgertum.

Die Sprengung des Mondes entstand während des Feuerwerks der letzten Neujahrsnacht. Von den scheinbar sicheren Mauern ihrer eigenen Festung haben die Menschen, so der Anschein, eine farbenprächtige Waffe auf ihren Erdtrabanten abgefeuert. Auf den Verweis auf die alljährliche Böllerdebatte kann an dieser Stelle verzichtet werden (wobei, nein, doch nicht, denn das war ja schon ein Verweis), stattdessen kann als Feststellung genügen: Schönheit und Größenwahn des Menschen liegen oft nah nebeneinander.

Diese zusammengehörige Paar Fotographien unter dem Namen Karlsausgang zeigen, wie die Drusel und die Menschen an der "blauen Spitzhacke" den Rand der Karlsaue durchqueren und das Wohngebiet betreten. Während der Weinberg langsam niedergedrückt wird, verbannt man Menschen und Wasser in rechteckige Betontunnel (die Menschen vorübergehend, die Drusel mehrfach und länger). Gerade das dunkel rauschende Wasser und die zu surrealen Schneefunken eingefrorenen Regentropfen machen das Bild des Druseltunnels einzigartig.

Eine Federzeichnung von Georg Zimmer aus dem Jahr 1919 heißt schlicht Der Druselturm und zeigt den 1421 erbauten Turm der Stadtbefestigung. Seinen Namen hatte er von der benachbarten Druselpforte und dem Druselteich, wo allerdings nur wenig Wasser durch eine Rinne floss, in das die Bewohner trotz polizeilichem Verbot deutlich mehr Urin kippten. Doch es kommt noch seltsamer: Der Fluss Drusel fließt heute völlig woanders entlang, die Kassler hätten ihn bergauf leiten müssen, um den Turm zu erreichen. Wahrscheinlich war also ein anderer Bach gemeint. Denn: Drusel war in Althessen auch ein Wort für einen Rinnstein oder Morast. Bach und Rinnsteine erhielten ihre Namen wahrscheinlich unabhängig voneinander vom Wort dreu (rinnen). Das Ergebnis: Durch Hessen rinnen zu viele Druseln.
Im Turm wurden Gefangene an Seilen in den Keller herabgelassen oder auf Schandkörben nebenan auf den Druselteich gesetzt. Der unscharfe Linienstil scheint die groben Praktiken, die lückenhafte Quellenlage und allgemein den mittelalterlichen Druselgrusel zu spiegeln. Später wurde im Turm Fleisch geräuchert, später bewahrte ihn nur eine Stimme Mehrheit vor dem Abriss. Knappe Ergebnisse sind übrigens bis heute Tradition in der Kassler Politik.

Dieses Jahr erschien ein neuer Street-Art-Stadtführer, welcher die Gäste und Einheimischen zu den bekanntesten - und natürlich legalen - Graffiti-Kunstwerken der Stadt leitet. Diese sind schon seit langem fester Bestandteil des Stadtbilds. Hier sehen Sie beispielsweise Armahs Day and Night, welches die Wände transparent macht und zeigt: In jedem Wohnhaus verbirgt sich eine Galaxie an Geschichten und Schicksalen.

In Sepia-Filter und beinahe absurd warmen Farben präsentiert sich das Das Rote Baumhaus. Harmonie erzeugt der übereinstimmende Farbton der Fachwerkbalken und des Baumhauses selbst, und doch scheint etwas falsch auf dem Bild, als wüsste der Künstler selbst, dass er hier im Nachhinein eine Kindheitserinnerung idealisiert, die so nie stattgefunden hat. Nicht umsonst trägt einer der verwendeten Filter die Bezeichnung 70er.

Thematisch eher in die Gegenwart angesiedelt ist der Vorwärtsfluss. Auch hier scheinen die Farben geradezu grotesk gesättigt, doch fehlt auf den ersten Blick ein thematischer Bezug zum Inhalt, der Drusel, die zielstrebig zwischen Mauern und Hecken der Vorgärten hindurchrauscht. Fast scheint es, als hätte der Fotograph einfach wahllos irgendwelche Filter über das Bild gelegt. Der kleine Bach scheint zu versuchen, verzweifelt zwischen den Leben all der umliegenden Menschen hervorzustechen, mit all dem Frühlingshochwasser, das ihm zur Verfügung steht, zu lärmen und durch auffälligste Fotobearbeitungs-Kosmetik auf sich aufmerksam zu machen. Und ist es nicht ebenso mit dem Leben eines Menschen, das so schnell und oft so unauffällig zwischen all den anderen dahinrauscht?

Die Stadterweiterung Kassels aus der Vogelperspektive ist ein Bild auf einem Geschenk an den deutschen Kaiser, welches nie überreicht wurde. Es stammt von Sigmund Aschrott. Dieser verschob im Allgemeinen gern Sachen von A nach B, zum Beispiel den kompletten Stadtteil auf dem Bild an Kassel. Wehlheiden war in den 1890ern ohnehin kein Dorf mehr: Immer mehr Bauern arbeiteten auf dem Bau, und mit dem Trink- und Abwasser wurde es immer schwieriger, sodass man sowieso mit der Stadt zusammenarbeiten musste. Da beschloss Aschrott, den adligen und nichtadligen Eigentümern ihr Land abzukaufen. Die Urbanisierung war sein Lebensziel. Die Sonne scheint den Dächern Wehlheidens eine rosige Zukunft entgegenzustrahlen. Ein Versprechen, das nur gebrochen werden kann.


Die Zeichnung Angriff auf die Blechmauer stellt auf den ersten Blick einen völlig alltäglichen Anblick dar, auf den zweiten dagegen eine geradezu unheimliche Szenerie dar. Spiegeln sich die Äste auf der Oberfläche der geparkten Autos? Oder umschlingen sie die Wagen, als stünden sie in einem Horrorfilm oder in den Tempeln von Angkor Wat? Sehen wir eine gerechtfertigtes Zurückschlagen der Natur oder ein zukünftiges grausames Massaker an Autofahrern? Das liegt im Auge des Betrachters. Auffällig jedenfalls: Die Fahrräder und die Schule am Rand bleiben völlig unbehelligt, ein Hinweis, dass gerade den Jüngeren eine Koexistenz möglich bleibt. Polarisierender kann Kunst nicht sein.

Thematisch passt dazu die eigenwillige Skulptur Fahrgrab. Eine einfache Steinplatte, deren dunkles Grau wohl nicht umsonst an eine Grabplatte erinnert - wird hier die Verkehrswende oder ein Unfalltoter beerdigt? Auf ihr prangt in krassem Gegensatz das Symbol eines Fahrrads, das offenbar dem Logo eines Sportgeschäfts oder der Schriftart Comic Sans entsprungen ist - offensichtlich eine Anspielung auf den unbekümmerten Umgang mit den erstgenannten Dingen. Die Platte scheint recht wahllos und unauffällig zwischen anderen Gehwegplatten platziert worden zu sein, als hätte jemand gehofft, damit das Thema Radwege lustlos abhaken zu können. Damit symbolisiert sie die Kassler Radrouten, welche permanent von vollen, sehr dezent markierten Bürgersteigen zu übervollen Straßen wechseln und wieder zurück, ohne erkennbaren Plan oder Wegführung.

Dieses Bild der Wilhelmshöher Allee wurde von einer künstlichen Intelligenz generiert. Ist das noch Kunst? Wem gebühren die Urheberrechte? Wie sollen wir in Zukunft mit so etwas umgehen? Wir haben eigentlich auch keine Ahnung, doch zum Glück reicht es, diese Fragen aufzuwerfen, um intelligent zu wirken.
"Willkommen auf der Wilhelmshöher Allee, wo sogar die Bildunterschriften KI-generiert sind! Hier treffen technischer Fortschritt und historischer Charme aufeinander. Aber keine Sorge, die KI hat versprochen, uns nicht mit lauter Cat Content zu überschwemmen!"


Diese Schwarzweißaufnahme unbekannten Datums trägt schlicht den Namen des Parks, den sie zeigt: 
Goetheanlage. Sigmund Aschrott schenkte der Stadt den Park 1922 als Nachlass, damit das Volk einen eigenen Park hat. Sein Motto: Rasen betreten erwünscht. (Die Drusel war da schon seit über 100 Jahren in ein Rohr unter die Erde verbannt worden.)
Ein Volkspark war damals noch eher eine neue Idee. Das erklärt nicht nur, warum der Bau so lange dauerte, dass ihn erst die Nazis einweihten, sondern auch die irgendwie unnatürlich rechteckige Form mit großer Leere in der Mitte des Parks und des Fotos, welche die damalige Unsicherheit mit dem neuen Konzept widerzuspiegeln scheint: Wie, ein Rasen nur für die Proletarier? Und die dürfen da einfach so draufgehen? (Auch wenn das Bild heute in die Irre führt: Zumindest am Anfang und Ende der Goetheanlage warten ein großzügiger Spielplatz und Skatepark.) Auffällig ist, dass die kleinen Menschen im Bild kaum mehr sind als dunkle Punkte, ähnlich wie die Fenster ihrer Wohnblocks: In der großen Stadt fühlt sich jeder wie eine Ameise.

Nicht weit entfernt erhebt sich das Bundessozialgericht, unter dem die Drusel direkt hindurchfließt. Das Gemälde Rechtsfluss verarbeitet dies in kreativer Weise mit modernen Stilelementen. Der Fluss scheint offensichtlich die ganze Vielfalt des Lebens darzustellen, mit der sich das Gericht befasst. Die schiefen Gitter versuchen dabei, die ersten Fälle herauszufiltern, deren improvisiertes Erscheinungsbild auf Kapazitätsprobleme des Rechtssystems anspielen soll. Der Rest verschwindet ins Ungewisse des in nicht abweisender, rötlicher Farbe, aber doch in strenger Form aufragenden Gerichts, und sucht nach dem Ideal der Gerechtigkeit, welches die Sonne in der oberen rechten Ecke symbolisiert.

In Cartoon-artiger Kuriosität dagegen thematisiert das nächste Werk die Überregulierung, wenn ein Wichtiges Warnschild vor niedriger Geländerhöhe warnt. Das ganze vor einem Geländer von recht normaler Höhe, das vor einem wenige Zentimeter tiefen Bach schützt. Auch von der Bahntrasse geht keinerlei Gefahr aus, sie wird per Tunnel unterquert. Wozu dann die Panik, möchte der Betrachter fragen.

In kalten und abweisenden Tönen zeigt das nächste Gemälde ein Drusellabyrinth, in dem sich der Bach unter mehreren Brücken aufspaltet. Welcher Weg ist nun der richtige? Der Künstler gibt keine Hilfe, sondern lässt den Betrachter ebenso hilflos zurück, wie er es in seinem eigenen Leben ist.

Dieses Motiv setzt das folgende Paar von Fotografien fort. Flucht in den Erdgarten erzählt eine Geschichte, in der ein verlorener Städter auf einen Spielplatz flüchtet, auf einer steilen braunen Erdwand beinahe den Halt verliert, doch diese trockene Erde letztendlich zu einem verborgenen Kleingartenparadies und Rückzugsort kultiviert. Die Hoffnung, die hierbei im Betrachter aufkeimt, wird unterstrichen durch den klaren blauen Himmel im Kontrast zur kahlen Erde.

Drei weitere Fotografien zeigen den Weg der Drusel Zwischen Stadt und Wald. Von der Mündung aus gesehen, verschwinden Beton, Zaun und Straße immer weiter und werden ersetzt durch Erde und Blätter. Eine kontinuierliche Entwicklung ins Grüne, die freilich in Fließrichtung in die entgegengesetzte Richtung verläuft. Wie es eine EU-Gewässerrichtlinie verlangte, wurden 2011 ein paar kanalartige Meter zum geschlängelten Bachlauf umgebaut - ein sogenanntes Trittsteinbiotop. Ob die Trittsteine hier einen artgerechten Lebensraum finden?

Der Wald, in dem der Bach seinen Anfang nimmt, ist natürlich hauptsächlich bekannt für seine Wasserspiele im Bergpark Wilhelmshöhe. Dieses Spektakel zeigt auch eine Reihe von Gemälden eines unbekannten Künstlers namens J.H. Martens, datiert auf 1805, die 2014 überraschend von einem Südfranzosen entdeckt und für 78 000 Euro an einen unbekannten Käufer versteigert wurden - kaum aufgetaucht, schon wieder verschwunden, die Pfade der Kunst sind unergründlich. Eine Mischung aus halb deckenden und deckenden Wasserfarben, Gouachen genannt, strahlt wie am ersten Tag. Und doch, etwas stimmt nicht. Ist es die Lücke im Schloss Wilhelmshöhe? Nein, die Verbindung wurde tatsächlich erst 1829 gebaut. Aber floss jemals so viel Wasser über die Kaskaden? Ist der Lac neben dem Schloss wirklich so groß? Soll der viel zu breite Wasserfall unter den Kaskaden die Teufelsbrücke darstellen? Und kann man die Wasserspiele so überhaupt auf einen Blick sehen?
Es ist zu vermuten, dass der Maler Martens niemals in Kassel war, sondern aus der Ferne zeichnte, im Homeoffice gewissermaßen, und den Kassler Stahlstecher Johann Gottlieb Kobold plus seine eigene Phantasie als Quellen benutzte. Ein Fest für die Augen ist sein Werk trotzdem.

Das Druseltal befindet sich zwar etwas abseits der Wasserspiele, ist aber trotzdem damit verbunden. Denn irgendein Fluss muss all das Wasser nach den spektakulären Stationen schließlich in die Fulda abtransportieren. Der Zusammenfluss, an dem die Drusel mit einem Weltkulturerbe verbunden ist, befindet sich leider unter der Erde.


Im Zuge der neuartigen Veranstaltung Bergparkleuchten wurden zur Ergänzung der beleuchteten Wasserspiele auch Lichtkunstwerke internationaler Künstler unter dem Motto "Herkules trifft Neptun" aufgestellt. The Cloud von Caitlind R. C. Brown und Wayne Garrett ist eine interaktive Skulptur, die das Alltagsobjekt Glühbirne in einem ganz neuen Bedeutungszusammenhang (wortwörtlich) erstrahlen lässt. Aus der Ferne sind die Birnen nicht als solche zu erkennen, vielmehr scheint tatsächlich ein weißleuchtendes Wunderwölkchen vom Himmel gefallen zu sein. Unter den staunenden Zuschauern werden Vergleiche mit dem heiligen Baum aus Avatar gezogen. Durch kollektive Zusammenarbeit (An- und Ausknipsen) sollen die Zuschauer faszinierende Lichteffekte hervorrufen können - tatsächlich ist die Auswirkung, wenn die Menschen an einer der Schnüre ziehen, nur bei sehr genauem Hinsehen erkennbar.

In der Druselschlucht wird es impressionistisch - und natürlich. Der Bach ist vor lauter Bäumen kaum zu erkennen, und einzelne Farbtupfen erscheinen als das perfekte Mittel, um einen Waldboden darzustellen, der sich ausschließlich aus Blättern zusammensetzt. Einziger Hinweis auf menschlichen Einfluss sind ein kaum erkennbarer Pfad inmitten der Tupfen, sowie das blau-weiße D auf einem schlanken Baumstamm. Ausgerechnet hier, wo man zum ersten Mal von einer Wildnis sprechen kann, ist der Druselpfad als Wanderweg markiert.

Doch die wilde Strecke währt nicht lang. Bald folgt die Drusel wieder einer großen Straße namens Im Druseltal. Das geschlossene Stadtgebiet hat sie zwar längst verlassen, doch auch die Pensionen, Villen und Berghotels im Vorort Neuholland (nicht zu verwechseln mit Nordholland, das ist ein nicht ganz so schickes Viertel) wollen gut an die Stadt angebunden sein. In gezähmter Wildheit unterquert der Bach umgestürzte Bäume und schließlich auch die Straße. Kaum mehr als ein schwarzer, einfarbiger Streifen, scheint er lethargisch seinen Weg zu suchen.

Da verwundert es nicht, dass der Wanderweg eine andere Route wählt. An der neuen Drusel und künstlichen Gräben geht es zu deinem künstlichen See namens Asch. Dieser wurde angelegt, um neue, zweite Wasserspiele zu bewässern, welche nie umgesetzt wurden. Ihn speist kein Quellwasser, sondern eine ehemalige Bergwerksgrube. Der Weg zum Asch zeigt in sonderbaren Farbtönen diese künstliche Natur, die seltsamerweise natürlicher scheint als das echte Tal des Flusses. Die Irritation des Wanderers hat der Künstler dabei deutlich überzeichnet, fast als befände er sich auf einem fremden Planeten. Der menschliche Schattenriss scheint nach etwas vertrautem Ausschau zu halten.

Von hier aus ist es nicht weit zur Löwenburg, dem Lustschloss des Landgrafen Wilhelm IX. Die hessischen Landgrafen trimmten nicht nur ihre Wasserspiele gern auf alt, und so baute sich Wilhelm eine künstliche Ruine als Rückzugsort und Grabstätte. Dabei ging er so weit, die Türme absichtlich unvollständig bauen zu lassen. Kein Zweifel, hier ist weder eine Kanonenkugel eingeschlagen noch hat ein Drache abgebissen, aber irgendjemand wollte, dass es genau so aussieht. Und was wäre passender, als diese Burg als historistisches Landschaftsgemälde neueren Datums darzustellen?
Ironisch ist nun: Durch britische Bomben wurde das Bauwerk im Zweiten Weltkrieg zur echten Ruine. Das Bauwerk bekam die Chance auf ein paar echt aussehende Bruchstellen, doch wurde es zunächst funktional und später detailgetreu wieder aufgebaut - mitsamt alle Fake-Schäden und ohne die echten.
Gerade deshalb bleibt die Löwenburg ein sehenswertes und faszinierendes Bauwerk. Wann hat man schon die Gelegenheit, ein 200 Jahre altes Disneyland zu betrachten?

Auf den letzten Metern der Drusel steht das wohl rätselhafteste Kunstwerk des Druselpfads. Was will und diese gigantische Skulptur sagen? Erinnern sie an eine zerstörte Brücke oder an die Strecke der Herkulesbahn? (Eine der wenigen Bahntrassen, die eher von der älteren Generation statt der jüngeren zurückgewünscht werden.) Sind es die Trittsteine eines Riesen? Oder parodieren sie die Beschädigungen der Löwenburg in stark überspitzter Form? Niemand weiß es.

Die Drusel entspringt auf einer Hochebene, in der sich die Wälder wieder lichten. Bevölkert wird sie von einzelnen Gehöften und Pferden, und auch im März ist hier noch Schnee zu finden. Die kalte und doch helle Schönheit dieses verborgenen Ortes fängt das Gemälde namens Kassels Dach in einer Mischung aus kalten und warmen Farben (wobei die kalten deutlich überwiegen) gelungen ein. Ein grün-gelber Streifen scheint bereits den nahenden Frühling zu versprechen.

Kurz darauf beenden wir unseren Rundgang am Quellteich der Drusel. Nach 11,5 km Länge und 370 m Höhenunterschied entdecken wir hier, neben einer Pferdekoppel, eine morastige Pfütze - der unscheinbare Anfang eines unscheinbaren Bachs, der doch so manche alles andere als unscheinbare Anblicke zu bieten hat. Eine schlichte Fotographie in braunen Sepia-Tönen korrespondiert nicht nur mit der Schlichtheit dieses Anfangs, sondern hebt dazu noch die weißen Schneeflecken besonders hervor.

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