Die schöne Rhöngrenze II
Länge: 15,5 km (+31 km Milseburgradweg, +3 km Ulstertalradweg, + 48 km Feldatalradweg)
Grenzquerungen: 2 (+1 am Feldatalradweg)
Bundesländer: Hessen/Bayern/Thüringen
Seite: etwas mehr West als Ost
Erkenntnis: Nebel liebt Freistaaten.
An der Friedhofskapelle von Batten drehte ich mich zum letzten Mal um und blicke hinunter auf das sonnige Ulstertal. Es hat mich treu begleitet und tief in die Rhön gebracht. Ab jetzt musste ich allein klarkommen.
Und das wird richtig anstrengend: Dieses Stück Rhön ist so steil wie der Harz (aber immerhin nicht so lang). Ein kleiner Würfelbunker kündigte an, dass mich oben auf dem Bergrücken die Grenze erwartet. Falls ich dort irgendwann mal ankomme.
Schleife um Schleife schleife ich mich den Berg hinauf, der einfach kein Ende nehmen will. Die Rhöner Römer nannten die Rhön Buchonia (Buchenland). Wurden die Buchen seitdem etwa alle abgeholzt? Nein, da vorne stehen noch welche.
Sobald ich in den Wald eintauchte, ging die Aussicht, ein Teil des Sonnenlichts und schließlich der Asphalt verloren, was mein Tempo auch nicht gerade erhöhte. Aber immerhin konnte ich noch den Weg vor mir sehen.
Radfahren wollte niemand an diesem kühlen Novembertag, aber hin und wieder kamen mir unerschrockene Rhönwanderer entgegen.
Endlich, es war schon deutlich mehr Zeit vergangen als veranschlagt, kam ich auf dem Kamm eines Bergs namens Hoel an. Mit rund 790 Metern ist das der höchste Punkt auf dem deutschen Iron Curtain Trail (sofern man nicht die Variante zum Brocken fährt). Puh!
Der Kamm ist tatsächlich ganz hübsch. Ein Weilchen fuhr ich auf einem Grenzstreifen aus beigefarbenen Wiesen und Rastplätzen. Die dürren grauen Bäumchen verwandeln sich in sattgrüne Weihnachtsbäume. Eine Aussicht erwartete mich auf dem Gipfel jedoch nicht. Die Tannen ließen mich ja kaum durch ihre Nadeln auf die zweite Reihe Bäume gucken - wie sollte ich da ins Tal blicken können? Und selbst wenn die Tannen weniger dicht wären, könnte ich trotzdem nichts sehen. Denn kaum hatte ich Thüringer Boden erreicht, erwartete mich hinter der nächsten Kurve eine Wand aus Nebel. Ab jetzt durfte ich froh sein, wenn ich weiter als 10 Meter sehen konnte.
Das kam unerwartet. Im Westen war noch alles richtig sonnig. Ob das jetzt irgendeine versteckte Symbolik haben soll?
Im Winter 1986 floh jemand in der Nähe durch das Schneegestöber in den Westen. Wenn ich schon keine Aussicht hatte, konnte ich durch das Wetter zumindest diese Fluchtgeschichte ein kleines bisschen besser nachfühlen.
Hinterm Hoel ging es steil abwärts bis nach Frankenheim, das sich nur scheibchenweise aus dem Nebel schälte. Die weiße Stadt befindet sich in einem spitzen Ausläufer Thüringens, mitten im Dreiländereck mit Hessen und Bayern, umgeben von Grenztürmen und Wanderwegen. Rein theoretisch. Behauptet die Karte. Mit eigenen Augen bestätigen kann ich es nicht.
Nutzloser Funfact: Ab hier ist die ehemalige Grenze identisch mit dem Aldi-Äquator.
Der Reiseführer 111 Orte in der Rhön, die man gesehen haben muss empfiehlt übrigens, am verwitterten Holzschild des Dreiländerecks eine Yogafigur namens Föderalistischer Flamingo auszuprobieren: Ihr linkes Bein Hand kann in Hessen zum Tode verurteilt werden, Ihre rechte Hand kann in Bayern CSU wählen und Ihr linker Arm würde in Thüringen deutlich weniger Rente bekommen.
Trotz widrigen Wetters wollte ich mir ein paar Sehenswürdigkeiten von Frankenheim anschauen, die nicht ganz so weit von der Route entfernt sind. Der Heilkräutergarten machte im November einen relativ trüben Eindruck, aber zumindest sind die Muster und Farben der Beete zu erkennen.
Vielleicht treffen Sie bei Ihrer Wanderung ja auf einen Bergmolch, eine Blindschleiche, eine Zauneideckse?, fragte eine Hinweistafel.
Nee, überraschenderweise nicht.
Auf den Hinweistafeln im Heckenlabyrinth steht überhaupt nichts. Ein Gewirr niedriger orangefarbener Hecken, in dem zig leere Holztafeln sinnlos herumstehen.
Daneben duckt sich eine Grotte - eine Art Iglu aus Feldsteinen, das mich an die Castelles in Südfrankreich erinnert hat. Die französischen Exemplare dienten als Verteidigungsanlage. Vielleicht galt das auch für dieses Rhön-Iglu - aber nicht im Kalten Krieg, da dürfte es nicht mehr dem Stand der Technik entsprochen haben.
Hinter Frankenheim überquerte ich die Rhönvariante des Kolonnenwegs. Diese Dinger sind echt die einzige Konstante auf dem Grünen Band. Der einzige Kilometer richtig mieser Wegstrecke brachte mich in den Westen, und zum ersten Mal auf meinen Iron-Curtain-Touren betrat ich bayrischen Boden. Beziehungsweise bayrischen Schlamm.
Hier sollte mich eigentlich der sogenannte Heimatblick erwarten, aber... ach, lassen wir das. Lieber ein paar historische Fakten:
Die Franken richteten den Aussichtspunkt ein, entzündeten Signalfeuer und guckten melancholisch rüber in den Osten, das war ihre Art von Protest für die deutsche Einheit.
Der Bundesgrenzschutz beobachtete unterdessen, wie die Soldaten verschiedener DDR-Grenzkompanien untereinander ausgetauscht wurden, rechnete ein bisschen und zog folgenden Schluss: Jeder neue Soldat wurde vier Tage lang in die grausame Geographie seines Grenzabschnitts eingewiesen. Private Informationen über die Gegner fand man im Westen nicht so wichtig: Der BGS kannte nur einen DDR-Offizier an diesem Abschnitt mit Namen, und das auch nur durch private Recherche.
Im Osten legte man auf andere Fakten Wert: Name und Privatadresse aller BGS-Offiziere waren selbstverständlich bekannt.
Eine Weile radelte ich seitlich am Bergkamm entlang, dann ging es wieder steil runter. Normalerweise wäre ich da runtergesaust wie sonstwas, aber im Nebel schien mir dann doch etwas Vorsicht angebracht. Meh, nicht mal die Bergab-Strecken kann ich hier richtig genießen.
Der Rhönwald ist längst abgeholzt, links und rechts erstreckt sich, soweit das Auge reicht (also nicht sehr weit), eine steilgrüne Wiese namens Rhönhut. Hut ab: Für eine unscheinbare Bauernwiese steckt ungewöhnlich viel Geschichte unter den Grashalmen. Die Wiese war kein Privateigentum, alle Dorfbewohner durften dort gemeinsam ihre Rinder, Schafe und Ziegen parken, während ein Gemeindehirte auf sie aufpasste. Quasi eine Art kommunistische Landwirtschaft, die tatsächlich funktioniert hat - und das in Bayern (verraten Sie das lieber nicht der CSU)! Im 19. Jahrhundert wurde die Rhönhut aber unter Privatbesitzern aufgeteilt. 1941 machten die Nazis die Rhön zu einem Musterland, entwässerten die Wiesen, forsteten einen Teil auf, bauten Windschutzstreifen aus Bäumen und ernannten besonders regimetreue Rhöner zu Erbhofbauern. Diese Wiese hat also viele politische Systeme am eigenen Boden erlebt.
Am unteren Ende der Rhönhut liegt die Bundesstraße (inklusive Radweg) nach Fladungen. Eine dicke Stadtmauer (inklusive Graben) schält sich eindrucksvoll aus dem Nebel. Der Maulaffenturm markiert das Tor zur ersten bayrischen Stadt. Er wurde nach seinem seltsamen Wasserspeier benannt.
Die hübsche Altstadt (inklusive Schloss) strahlt auch durch den Nebel in verschiedenen Gelbtönen. Leider fließt der Verkehr mittendurch, eine Fußgängerzone gibt's nicht.
Erreichbar ist Fladungen nur per Bus oder mit der Dampflok Rhön-Zügle, die lediglich an bestimmten Tagen fährt. Ich bin auf den Feldatal-Radweg abgebogen, den ich heute noch mitnehmen wollte.
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