Harz VI: Der Osten
Heute liegt eine weite Strecke vor mir, also hoffen wir, dass mir niemand Steine in den Weg legt. Nicht einmal, um die Festigkeit einer Brücke zu testen.
Klar, heute gab es wieder die üblichen Feldstraßen und straßenbegleitenden Radwege. Aber die Strecke überraschte mich auch mit einer Bahntrasse, die meine Karte noch nicht kannte.
Anscheinend hatte die Harzer Schmalspurbahn in Gernrode mal eine Abzweigung, die nicht in den Harz reinführte, sondern weiter außen lang. Und dort hat jemand perfekt sitzende Betonplatten draufgelegt, sodass ich bequem durch orangefarbene Blättertunnel flitzen konnte. Tümpel dümpelten im Wald vor sich hin, und davor besiedelten Kleingärtner die letzte Hügelkette.
Der Bahnhof Ballenstedt-West wurde vom darin befindlichen Ehepaar liebevoll saniert. Eigentlich sollte ich da schon zum Schloss Ballenstedt abgebogen sein, Schlösser und Burgen sehe ich noch genug, Bahnhöfe dagegen sind Mangelware.
Zugegeben, außer Schloss und Bahnhof scheint Ballenstedt auch nicht viel zu haben. Die funktionale Stadt machte mir klar, dass der supertouristische Harz nun vorbei ist. Es gibt zwar immer noch verstreute Punkte, die viele Besucher anziehen, aber sie reichen nicht aus, dass sich eine Stadt wie Wernigerode, Bad Harzburg oder sogar Thale herausbilden würde.
Selbst der Bismarckturm in den Bergen erinnerte mich aus der Ferne eher an einen großgeratenen Trafoturm.
Aber nach ein paar Kilometern kommt sogar eine noch kleinere, stillere Variante von Ballenstedt. (Obwohl in Meisdorf immerhin etwas lebt - die Rehe im Wildgehege vor dem Schloss.)
Und dort wäre auch schon der nächste Harzfluss, die Selke. In ihrem Tal habe ich einen Ausflug zur Burg Falkenstein gemacht, die sich zu Recht als die Burg im Harz bewirbt und besonders für Juristen und Filmfans interessant ist.
Der Harzrundweg wellte sich immer mehr, und ich steuerte auf den Hügel mit der Konradsburg zu. Schau an, Falkenstein ist also doch nicht die Burg im Harz. Hier kommt die Familie vom Falkenstein ursprünglich her, damals natürlich noch mit anderem Namen. Die Sage sagt, Eugeno von Konradsburg hat einen adligen Kollegen ermordet (bei einem Bauern hätte es niemanden gejuckt), und zur Strafe sollte der Tatort in ein Kloster umgewandelt werden, weshalb die Familie eine Ersatzburg brauchte. (Man stelle sich vor, die würden das bei jedem Tatort machen. Dann müsste man die Täter auch als Mönche zwangsverpflichten, sonst wäre der Personalmangel größer als aktuell in allen anderen Branchen.) Die Historiker sagen dagegen, dass sich die Familie den Falkenstein als Zweitburg gebaut hatten, die dann nach und nach die Konradsburg als Hauptburg ablöste. Irgendwann zog dann ein Benediktinerkloster in die Konradsburg, und heute befindet sich darin eine Galerie.
Die Konradsburg bildet im Prinzip nordöstliche Ecke vom Harz. Das ist neu: Im Westen hatte das Gebirge keine Ecken, sondern war völlig abgerundet. Der Radweg Deutsche Einheit und der R1 verabschieden sich hier nach Norden in Richtung Harzer Seenland und zur Saale.
Zurück bleibt nur der einsame Harzrundweg, der sich nun der einsamsten, unbekanntesten Ecke vom Harz zuwendet. Im Osten ist alles völlig anders. Das Gebirge hat kein eindeutiges Ende, sondern läuft immer weiter in ein welliges Hügelland aus. Etwas eindeutiger kann man sagen, wo der Wald aufhört, obwohl auch dessen Rand ziemlich ausgefranst aussieht. Der Harzrundweg ist davon völlig irritiert und schlägt immer wieder endlose Bögen und Schleifen, welche die Strecke wahnsinnig verlängern. Ich bin auf den Jakobsweg abgebogen und habe mir einiges davon abgekürzt - in dieser seltsamen Gegend sind die Wanderwege manchmal besser zum Radfahren geeignet als die Radwege.
Weiße Dörfchen liegen verstreut zwischen den Rapsfeldern. Irgendwo hinter diesen Wellen sollen sich rätselhafte kleine Städte wie Hettstedt, Mansfeld und Lutherstadt Eisleben befinden, wo es theoretisch Bahnhöfe gibt, aber laut DB-Navigator gerade wegen Bauarbeiten nichts hinfährt. Tja, dann sehe ich euch eben nicht, denn an einem Tag schaffe es nicht dahin und zurück.
In einem Punkt hat der Harzrundweg aber recht: Wenn ich eh nicht die Städte besuche, hat es auch wenig Sinn, den ganzen Tag durch die monotonen Rapshügel zu radeln. Dann kann ich ebenso gut in den Harz rein und die Umrundung auf der Innenseite fortsetzen. Und dazu nimmt der Radweg sogar eine relativ geschickte Strecke (wenn auch mit ein paar weiteren unnötigen Schlenkern, die ich abgekürzt habe). Der Harzrundweg verknüpft jetzt nämlich zwei Flusstäler, damit ich möglichst wenig bergauf musste. In Alterode bog ich ein in das eine Tal. Es heißt, ähm, Eine-Tal.
Die Eine hat ein einsames und einförmiges Tal geschaffen.
Die Berge (ich zögere, dieses Wort zu verwenden) sind bemerkenswert niedrig: Ohne Karte könnte ich hier beim besten Willen nicht sagen, ob ich noch im Harz bin oder nicht. Absolut nichts unterbricht den breiten Wiesenstreifen zwischen den Wäldern. Eine altmodische Stromleitung macht sich auf die vergebliche Suche nach irgendjemanden, der einen elektrischen Anschluss gebrauchen könnte. Jeder Kilometer sieht genauso aus wie der vorherige. Was aber nicht so schlimm ist, denn so schlecht sieht der vorherige Kilometer nun auch wieder nicht aus. Um zügig und angenehm Strecke zu machen, ist das Tal eine super Verbindung.
Zügig düste ich durch das Tal und fuhr dann wieder steil raus. Überraschung: Von oben und mit einer Prise Nieselregen sah das Einetal am besten aus. Es erinnerte mich auf einmal an den Schwarzwald.
Na dann, ab nach unten ins nächste Tal. Vielleicht gibt es da ja mehr zu sehen?
Tatsächlich: Gleich als erstes empfing mich die Rammelburg. Eigentlich handelt es sich um ein Schloss, sodass sie das Monopol von Falkenstein als mit Abstand beste Harzburg nicht in Frage stellt.
Im Tal der Wipper fährt sogar ein Zug! Also, bei Gelegenheit. Die Bahn namens Wipperliese schwankt beständig zwischen Stilllegung und Ausbau und fährt zur Zeit nur noch im sogenannten Gelegenheitsverkehr an Wochenenden.
Auch Felswände schauen an der Seite des Wippertals heraus.
Das Städtchen Wippra verteidigt stolz und schön als letzte Bastion des Tourismus den Ostharz gegen das Ödland, das von draußen einzudringen versucht. Dazu zieht sie alle Register.
Kletterwald! Sommerrodelbahn!
Und sogar eine Skisprungschanze!
Gerade hatte aber nichts davon Saison, also fuhr ich raus aus dem zweiten Tal. Ochsen starrten mir neugierig hinterher, als hätten sie noch nie einen Menschen gesehen.
Mensch, bin ich gut vorangekommen.
Jetzt bleibt nicht mehr viel übrig. Über die Kastanienallee steige ich durch ein Labyrinth aus leuchtenden Tunneln auf.
Ziemlich schnell machten sich leider Pfützen auf dem Radweg breit, die rötlichen Schlamm aufspritzen ließen und meine Hose in etwas verwandelten, das wahlweise in die Waschmaschine, den Sondermüll oder auf die Documenta gehört. Ob ich auf einer Abkürzung oder dem offiziellen Harzrundweg fuhr, machte da gar nicht so den Unterschied.
Auf diesem Wege verließ ich den Harz dann wieder am südöstlichen Ende. Der Bereich gehört eigentlich zu einem Naturschutzgebiet namens Gipskarstlandschaft Pölsfeld, aber anscheinend gibt's den Gips nicht mehr (obwohl die Gipswände eigentlich fast überall im Südharz präsent sind).
Vielleicht wurde alles abgebaut, denn ich befinde mich wieder mal in einer Bergbaugegend. Davon zeugt zum Beispiel dieser Vulkan. Was hier wohl abgebaut wurde? Spontan würde ich vermuten: Chamäleongestein.
Aus der Ferne scheint die Schachthalde Hohe Linde eher beigeweiß, aus wenigen Kilometern Entfernung plötzlich rötlich und direkt davor dann asphaltgrau. Okay, das könnte auch mit dem wechselnden Sonnenlicht in der Dämmerung zu tun haben.
Hier gibt es dann endlich wieder einen richtigen Bahnhof. Zwar muss ich dafür noch ein gutes Stück nach Süden, aber dafür fährt Sangerhausen auch oft ein Zug.
Die bekannteste Sehenswürdigkeit von Sangerhausen ist das Rosarium, denn es handelt sich um eine Rosenzüchterstadt. Auch an ein paar Häusern ranken sich Rosenstiele nach oben. Von der Altstadt ist durchaus noch was übrig, aber die Stadtmauer und -tore sind weg. Grund dafür ist kein Krieg, sondern moderner Pragmatismus: Es gab eh Freihandel, also keine Zölle, und ansonsten behinderten die ollen Dinger doch nur den Verkehr. 1823, also ganz schön früh, rissen die Sangerhauser ihre Befestigung komplett ab.
Wo genau die südöstliche Ecke vom Harz liegt, ist in dem welligen Land nicht ganz so leicht zu bestimmen. Eine ziemlich markante Stelle lässt sich am besten in der Bahn erleben: Zwischen Klostermansfeld und Sangerhausen fahren die Abellio-Züge durch eine enge Felsschlucht. Anders als die Harzer Schmalspurbahnen so schnell, dass jedes Foto verschwimmt (aber natürlich trotzdem langsam genug für eine Verspätung). Trotzdem ist das vielleicht die spektakulärste Bahnstrecke um den Harz (die Schmalspurbahnen nicht eingerechnet), nur die Gipsfelsen-Strecke bei Walkenried kann da mithalten.
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