Willkommen im Solztal! Dieser süße Bahntrassenradweg verbindet Werra und Fulda. Wenn ich den mache, lerne ich einen kleinen Zufluss der Weser kennen und bin gleichzeitig den kompletten nördlichen Ring vom Bahnradweg Hessen gefahren. Auf geht's!
Der Anfang des Radwegs ist so konsequent wie kein anderer Bahnradweg. Normalerweise geht es erst da los, wo die alte Bahntrasse von anderen Gleisen abzweigt.
In Bad Hersfeld starten die Radfahrer direkt neben einem echten Bahnhofsgebäude auf ihrem eigenen asphaltierten Gleis, wie ein abfahrender Zug - direkt neben echten abfahrenden Zügen (sogar ICEs). Wenn Sie sich auf dem Fahrrad mal so richtig wie eine Eisenbahn fühlen wollen, ist dieser Radweg ein Muss.
Etwa einen Kilometer geht es neben dem Bündel an Gleisen her, erst danach zweigt der Solztal-Radweg auf seinen eigenen Bahndamm ab.
Wenige Minuten später bin ich auch schon auf einer steinernen Bahnbrücke über die Fulda gerollt. An der ungewöhnlich großen Brücke klebt ein Holzhäuschen, das möglicherweise zur Hersfelder Kläranlage gehört.
Von oben werfe ich einen Blick auf die Solz-Mündung. Die Solz hat an dieser Stelle keine Brücke, sondern nur ein paar umgefallene Bäumchen, die das Flüsschen verdecken.
Im Frühjahr kommt Leben in die Tümpel, behauptet ein Schild, denn im Solztal leben viele Lurcharten. Im Herbst kommt eher nicht so viel Leben in die Tümpel, aber die Strecke macht immer noch Spaß. Der Fuldaradweg findet sie sogar so toll, dass er hier entlangführt - nanu, habe ich die Fulda nicht schon hinter mir gelassen? Gerade noch rechtzeitig fällt dem Fuldaradweg auf, dass er ins falsche Tal abbiegt, und er sucht sich einen Feldweg, um zurück ins Fuldatal zu gelangen. (Ich habe damals bei meiner Fuldatour die Variante an der Hauptstraße genommen und kannte die Strecke noch nicht.)
Der Weg überwindet 255 Höhenmeter, aber das Gute an Bahntrassen ist ja, dass man die nur sehr sanft und allmählich überwindet. Nach den ersten Kilometern am Waldstreifen schlängelt sich die Trasse einmal um das Dorf Sorga. Hier begegnete ich zum ersten Mal einem anderen Menschen, der seinen Hund aufs Feld führte, auf dass das Tier die Erde noch ein wenig matschiger mache.
Wenn die Nicht-mehr-Heilquelle nicht die Solzquelle ist, wo beginnt der Fluss dann? Ich mache einen Abstecher, um seine Quelle zu suchen. Südlich der Stadt verläuft die sogenannte Point-Alpha-Schleife vom Radweg Deutsche Einheit am Flussufer. In kleinen Wellen gleite ich durch feuchte Wiesen mit Schafen drauf. So hübsch hatte ich mir das gar nicht vorgestellt. Die Solz ist immer noch ein recht breiter Bach, der immer wieder graue Gruppen von Bäumen versorgt.
Die Point-Alpha-Schleife verabschiedet sich, und weil ich schon am Point Alpha war, folge ich weiter der Solz. Hinter Oberweisenborn ist der Bach nur noch ein Graben in graubraunem Gewucher und möchte anscheinend nicht mehr, dass ich ihn verfolge. Der Feldweg wird zu zwei schlammigen Streifen auf der Wiese. Weiter hinten stehen tropfenförmige Baumgruppen, die sich auf dem kalten Feld zusammendrängen und die mutmaßliche Quelle bewachen. So richtig sehen kann ich das allerdings nicht. Tja, das hier ist halt kein Flussradweg, sondern ein Bahnradweg - da kann man keine ausgewiesene Quelle erwarten.
So, dann wollen wir mal sehen, wie weit ich gefahren bin. Diese nette Grafik hat Relive zu meiner Tour erstellt. 57 Kilometer, immerhin. Der reine Solztalradweg ist aber nur 27 Kilometer lang, meine persönliche Endabrechnung enthält zusätzlich den Ausflug zur Quelle und die Abreise zum Bahnhof Wildeck-Bosserode.
Im Tal verläuft auch der sogenannte Kinderweg mit Schnitzereien, Lehrtafeln zur Natur und kleinen Spielplatz-Elementen. Am auffälligsten ist die hölzerne Lokomotive.
Die echte Hersfelder Kreisbahn, die früher über diese Trasse dampfte, bestand nicht aus Holz, sondern verbrannte nur welches. Und trotz ihres Namens fuhr sie auch nicht im Kreis - Kreisbahn bedeutet, dass sie dem Landkreis gehörte. Erst 1983 privatisierte man die Kreisbahn zu einer GmbH. 10 Jahre später wurden auch die letzten Güterzüge eingestellt.
Die weißen Fassaden von Sorga sind so gleichförmig, dass ich wirklich nicht sagen kann, welches Gebäude den Bahnhof enthielt. Das einzige, was in den Dörfern ein bisschen heraussticht, sind die Flaggen. Das Solztal zeigt ungewöhnlich viel Flagge und ist damit für windstille Tage weniger geeignet.
Das Leben ist ein Hauch, verkündete vor wenigen Kilometern eine künstlerische Sitzbank in verschnörkelter Schrift. In besagtem Hauch flattern träge Deutschland, die Europäische Union, nochmal Deutschland, die Europäische Union, Deutschland mit Reichsadler und eine fast komplett abgerissene Piratenflagge auf einem kleinen Piratenschiff, das in einem deutschen Vorort gestrandet ist und sich ein bisschen fehl am Platz fühlt.
In den nächsten Dörfern passiere ich drei Arten von Bahnhöfen:
- Level 1: Nur eine steinerne Bahnsteigkante
- Level 2: Bahnsteigkante und ein hölzernes Bushäuschen
- Level 3 - die Vollversion: Bahnsteigkante, Bushäuschen und weißes Bahnhofsgebäude
Ich hoffe mal, auf dem Radweg hält kein Bus. Sahen die Bahnhöfe wirklich aus wie Bushaltestellen, sollen das Rasthütten sein oder wieso ist alles voll von diesen Buden?
Die zweite Brücke des Solztal-Radwegs (nach der Fuldabrücke) ist eine kurze Hängebrücke auf dem Kinderweg, die zu einer Plattform mit Blick auf den Tümpel führt. (Da muss man nicht mit dem Fahrrad rüber. Kann man auch gar nicht. Wahrscheinlich nicht mal per Mountainbike.)
Später gibt es schicke Bahnbrücken aus braunem Stein. Auch eine der Betonbrücken für die Bundesstraße hat versucht, sich in diesem Stil einzukleiden.
Eine Brücke ist mir in besonderer Erinnerung geblieben (nicht in positiver). Diese Brücke des Verderbens bestand zu je einem Drittel aus Holz, Wasser und Moos. Leider war ich so schnell unterwegs, dass ich diese gefährliche Zusammensetzung erst mitbekam, als ich noch schneller unterwegs in Richtung Brückenboden war. Den Rest der Tour machte mein Knie leicht widerwillig mit.
Wenn gerade keine Brücke da ist, dann beschützt mich ein Drängelgitter vor dem kümmerlichen Straßenverkehr. Normalerweise sind die Dinger so nervig, dass sich außenrum ein fest etablierter Trampelpfad gebildet hat, auf dem die Radfahrer sie umrunden. Aber hier wird nur der halbe Radweg blockiert, sodass ich mich nirgendwo durchquetschen muss. Das ist doch nett.
Windräder drehen ihre Runden auf den Hügeln am äußersten Randgebiet der Rhön, und auch die Bahntrasse dreht eine weite Runde durchs Tal. Und scheint trotzdem die ganze Zeit geradeaus zu führen.
Als das Tal wieder schmaler wurde, bin ich inmitten der gleichförmigen Wiesen auf einen farbenfrohen Streifen aus Hecken, Moos und Heide gestoßen. Naja, farbenfroh für November-Verhältnisse, aber immerhin.
Jetzt taucht die Trasse ein in eine Schlucht, wo die Solz auf spitze Steine trifft. Wirklich wild wird sie dadurch immer noch nicht. Aber immerhin kann ich hier und da mit bloßem Auge erkennen, wie sich das Wasser bewegt.
Damit sich noch ein bisschen mehr bewegt, hat irgendeine freundliche Person zwei winzigkleine Staustufen eingebaut. Ich präsentiere: Die Solzfälle. Wow! Da kann der Rheinfall einpacken.
Kurz vor Schenklengsfeld muss ich die Bahntrasse kurz verlassen, denn zum ersten Mal tauchen wieder Gleise auf. Und bald darauf verlasse ich den Bahndamm endgültig.
Die erste (naja, und einzige) Stadt im Solztal gehörte ebenso wie die Bahntrasse zu Bad Hersfeld. Allerdings nicht dem Landkreis, sondern dem Kloster. Es platzierte Vögte in der Schenklengsfelder Burg, die über alles Wichtige entschieden. Die Mönche verloren die gelbe Stadt erst nach dem 30-jährigen Krieg und hinterließen hübsche Fachwerkbauten (sie sind insbesondere dann hübsch, wenn man sie mit den öden Dörfern vergleicht).
Wenn Bauern nach Schenklengsfeld kamen, wurden sie Strohhäischer genannt. Sie hatten nämlich die Aufgabe, den Forstbeamten Steuern in Form von Stroh zu bezahlen. Weil sie brav bezahlten, wurde ihnen eine Statue aufgestellt.
Die künstlerische Qualität der Statuen hat sich seit unförmig geschnitzten Stöcken am Kinderweg deutlich verbessert.
Als ich den ehemaligen Marktplatz umrunden wollte, entdeckte ich einen Baum. Und was für einen! Ist das so eine Tanzlinde wie an der Werra, in der gefeiert wird?
Nein, anscheinend soll das 65 Meter lange Bau(m)gerüst einfach nur die Äste stützen. Und dieser Baum hat es verdient, gestützt zu werden, denn es handelt sich um Deutschlands älteste Linde. Vier fette Wurzelstränge mit einem Durchmesser von insgesamt 18 Metern reichen nicht aus, um all das Holz zu stabil zu verankern. Ein Zweig der Linde hat es ins Stadtwappen geschafft. (Für den ganzen Baum hat der Platz einfach nicht gereicht.)
Die Solz sucht sich in ausgesprochen flachen Rinnen ihren Weg durch die Stadt und taucht in zwei Röhren unter der Bahntrasse durch. Ich folgte ihr aus der Stadt, wo sie sich auf verschiedene Gräben zwischen den Feldern verzweigt.
Fast direkt aus dem Bahndamm sprudelt eine Quelle des Rhön-Clubs. Die Solzquelle kann es nicht sein, höchstens eine Solzquelle, denn der Fluss geht ja noch weiter.
Im Jahre 1688 wurden in Schenklengsfeld verifizierte Heilquellen gefunden. Die Bewohner der abgehängten Stadt hängten sofort Schilder mit der Aufschrift Bad Schenklengsfeld auf und freuten sich über den Heil-Hype, der aber nur wenige Jahre anhalten sollte. Heute kommt aus der Quelle kein Trinkwasser, also lasse ich lieber die Finger davon. Das Heilwasser ist offensichtlich Geschichte.
Am Wegesrand steht eine Sammlung wertvoller Grabsteine, manche stammen sogar aus dem 17. Jahrhundert. Behauptet jedenfalls ein Schild. Ich sehe nichts, was einem Grabstein ähnelt. Der Friedhof wurde komplett unter Blechplatten begraben, aus welchem Grund auch immer. Im Hintergrund ragt nur noch das Predigerhäuschen auf, in dem Beerdigungen durchgeführt wurden.
Auf den Platten darf man nur mit 5 km/h fahren. Logisch, alles andere würde ja die Totenruhe stören. Ich bin mal davon ausgegangen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht für den Radweg gilt, und mit mehr als 5 km/h weitergedüst.
Und der Bahnradweg geht in eine ganz andere Richtung weiter. Ab Schenklengsfeld sind die Gleise wieder da. Diese Bahntrasse ist nicht so zerhackt wie im Felda- oder Ulstertal (mal darf ich auf den Bahndamm, mal wieder nicht), sondern einmal genau in der Hälfte aufgeteilt. Den ersten Teil fahre ich auf der Bahntrasse, und den zweiten daneben. Und zwar erstmal direkt daneben - gleich hinter der Stadt stoße ich auf die Gleise und folge ihnen durch eine breite Hochebene.
Ein eher ungewöhnliches Bauwerk auf diesem Abschnitt war ein kleiner Bahntunnel aus Wellblech (für die Schienen, nicht für mich, ich bin obendrüber geradelt). Das Dorf Wehrshausen wurde auch Wellblechshausen genannt, weil sein Bahnhof aus demselben Zeug bestand. Gelbes Gras bedeckt die Schwellen, aber theoretisch könnte hier wohl noch ein Zug oder eine Draisine fahren. Tun sie aber nicht. Keine Ahnung, warum die Gleise der Wellblech-Hälfe überhaupt noch liegen.
Nur die letzten Kilometerchen fahre ich völlig abseits der Bahntrasse und mache gezwungenermaßen einen Umweg durch Ausbach. Auf der Karte sah das lästig aus, aber eigentlich ging es echt fix. Von der Ausbacher Höhe bewunderte ich einen Panoramablick. Windräder drehten sich am Horizont, und die Kaliberge des Werratals guckten hinter den Hügeln hervor. Vor diesen Hügeln hat ein anderer Bach ein Tal in den Wald geschnitten.
In diesem Tal düse ich auf der Straße bis nach Heimboldshausen an der Werra (bei Heringen). Auch die Gleise landen am Ende in der Waldschneise, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Im Werratal vereinen sie sich mit den Güterzugstrecke für das Kalisalz.
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