Weser-Tag 8: Die Stadt der Musikanten
Start: Bremen, Altstadthostel
Ufer: rechts
Bundesländer: Niedersachsen, Bremen
Landschaft: Kanäle und Steilufer, Deiche and Moor
Wegbeschaffenheit: fast nur Asphaltradwege
Steigungen: ein paar am Ende des Kanals
Wind: leichter Nordwestwind
Highlight: Bremer Geschichtenhaus
Größte Hürde: Wartezeit im Gasthaus zur Linde, Achim
Zitat des Tages: "Und dann hab ich dem auch was von meiner Mäusebutter aufs Brot gegeben."
- Mörderin Esche Gottfried im Geschichtenhaus -
1. Fahren Sie alle nachfolgenden Etappen in umgekehrter Richtung, der Wind wird es Ihnen danken. Also, vorausgesetzt, Sie haben Glück und er weht auch in umgekehrte Richtung. Bei dem Wind weiß man nie so ganz. Wenn möglich, entscheiden Sie kurzfristig je nach Wettervorhersage über die Richtung, sonst hoffen sie einfach.
3. Kurz darauf kommt nämlich eh eine große Flusskreuzung (wenn auch ohne die schönen Weiden der Aller): Zum letzten Mal zweigt ein Schleusenkanal für den Schiffsverkehr von der Weser ab. Folgen Sie seinem schnurgeraden Ufer. Jup, da ist ne Schleuse, der Kanal wird seinem Namen gerecht.
4. An dieser Baustelle müssen Sie wirklich absteigen. Diese Kiesberge wären selbst mit einem Mountainbike schwierig. Seien Sie froh, dass Sie überhaupt mitten durch die Bauarbeiten laufen dürfen!
Erklimmen Sie ein Steilufer. Unter Ihnen vereinigt sich die Weser wieder mit dem Schleusenkanal.
5. Ach, im Zentrum von Achim bimmelt ein unsichtbares Glockenspiel. Es ist eines der größten in Norddeutschland. Lauschen Sie dem Läuten, auch wenn Sie seinen Ursprung einfach nicht lokalisieren können.
Fallen Sie nicht auf die sogenannte Honigkuchenfabrik rein, von der steht nur noch die Fassade. Falls Sie keine Glocken mögen oder das Glockenspiel gerade nicht läutet, umrunden Sie Achim auf dem Deich. Die weiße Kleinstadt ist nichts Besonderes und das Wahrzeichen (eine Windmühle) steht sowieso am Stadtrand.
6. Nun sollen Sie durch Bollen rollen, egal ob Sie durch Bollen rollen wollen.
Fahren Sie ein Stück auf dem Deich, dann daneben. Monotone Moore und Felder schließen Sie ein, Windräder drehen sich, die Weser fließt in der Ferne. Genießen Sie das letzte Stück Natur.
Holzen Sie möglichst keinen Wald ab, das war schon vor Jahrhunderten keine gute Idee. Dank fleißiger Holzfäller ist Wald seit Porta Westfalica Mangelware. So bekamen bereits unsere Vorfahren zu spüren, dass jeder Eingriff in die Natur Folgen hat. Dieser Eingriff sollte Bremen und den Rest der Weser für immer verändern. Die Holzfäller hatten keine Ahnung, dass sie damit indirekt in ferner Zukunft das einzige Bundesland, das in zwei Teile zerhackt ist, erzeugten.
7. Tauchen Sie nun in die Stadt ein und durchkreuzen Sie auf verblüffend guten Radwegen ein Industriegebiet. Fahren Sie am Allerhafen vorbei. Werrahafen, Fuldahafen... hier gibts einen Hafen für jeden großen Nebenfluss, genau wie an der Elbe.
Außerdem staut das Weserwehr den Fluss zum letzten Mal. Danach bestimmen die Gezeiten, wie hoch das Wasser den Bremern steht. Deswegen heißt der Fluss ab da Unterweser.
8. Irgendwann kommen Sie dann wieder am Flussufer raus. Jetzt haben Sie sogar die Wahl zwischen einem hohen und einem tiefen Ufer-Radweg. Der tiefe hat den Nachteil, dass Sie irgendwann wieder hoch müssen.
Die Weser fließt um den Stadtwerder herum, eine lange Freizeitinsel mit Wald und Strand. Wenn Sie da draufwollen, hätten Sie den längeren Weg am Südufer fahren müssen, jetzt ist es zu spät.
Am Ufer ist ein Raumschiff voller Fußballfans gelandet, das sogenannte Weserstadion.
Sollte das Wetter heiß sein, gehen Sie ins Stadionbad, das außergewöhnlichste Schwimmbad in Bremen. Es handelt sich um ein Naturfreibad ohne Chlor. Lassen Sie sich von der steilen Stahlrutsche ins grünliche Wasser schmeißen, und zwar vor der futuristischen Kulisse des riesigen Stadions.
Auch neben der Altstadt können Sie bequem an der Weser radeln. Sie teilen den Weg mit den Fußgängern, trotzdem ist (jedenfalls an Werktagen) genug Platz.
Die Insel Stadtwerder endet unterdessen an der Umgekehrten Kommode, einem alten Wasserwerk. Es hatte mal höhere Türme, die an die Beine eines Möbelstücks erinnerten.
Die Weser sah früher auch ganz anders aus. Mehrere Flussarme umschlangen die Altstadt. Als weiter südlich immer mehr Wald an den Ufern abgeholzt wurde, schleppte die Weser immer mehr Sand mit und wurde flacher. Die Bremer mussten den Fluss kanalisieren, sich Geld beim Kaiserreich holen und dazu blöderweise auch noch dem deutschen Zollgebiet beitreten, was sie eigentlich gar nicht wollten - und das alles nur, damit fünf Meter tiefe Schiffe bis nach Bremen kamen.
Der Hafen von Bremen war durch diese Verzweiflungstat aber auch nicht mehr zu retten.
9. Auch wenn Sie im Weserbergland schon schönere Städte gesehen haben: Durchstreifen Sie die Altstadt und geben Sie dem Bremer Backstein eine Chance. Sollten Sie hungrig sein, verzehren Sie zwischendurch eine Kartoffelspirale. Gehen Sie ein Stück am Zickzack-Graben um die Altstadt und entdecken Sie Blumenfelder und eine Windmühle. Noch weiter müssen Sie nicht gehen, außer Sie wollen zum Bahnhof. Da hinten finden Sie nur noch Gebäude, welche offenkundig per Copy und Paste aus Hannover entwendet wurden.
Bremen wurde mal von den Bischöfen im Dom beherrscht, aber das ist lange her. Die bürgerlichen Kaufleute haben sie immer weiter vertrieben und durch neue Bauten mit ihrer Macht angegeben: Das Rathaus sieht prächtiger aus als der Dom und die Statue vom Ritter Roland guckt entschlossen in Richtung der Kleriker. (Den Roland gab es nie, das ist bloß so eine Personifikation der Bremer Bürgerrechte.) Die Altstadt zieren außerdem der finstere Landtag und viele Tierstatuen. Damit meine ich nicht nur die berühmten Stadtmusikanten, sondern auch eine Herde Schweine in der Fußgängerzone.
Das Märchen der Stadtmusikanten sollte ja bekannt sein: Vier ältere Nutztiere finden heraus, dass die Rente eines gewöhnlichen Nutztiers aus einer scharfen Axt besteht, was sogar noch abschreckender ist als private Altersvorsorge. Weil das mit der Revolution der Tiere ja schon bei George Orwell nicht geklappt hat, hauen sie einfach ab und wollen in Bremen Musiker werden, bleiben dann aber doch lieber in einem Waldhaus, das sie Räubern geraubt haben. Ende.
Bremen kommt in der Geschichte also gar nicht vor (außer in der einen Verfilmung, bei der das Ende komplett anders ist und die vermutlich von der Bremer Tourismuslobby gesponsort wurde). Dennoch basieren erhebliche Teile des Fremdenverkehrs auf dem Märchen, also lassen Sie sich vor der Stadtmusikantenstatue fotografieren und werden Sie Ihren Müll in einen Mülleimer, der anschließend I-A, Wau, Miau oder Kikeriki macht.
Wenn Ihnen Backstein nicht reicht, schließen Sie Ihr Rad an und erkunden Sie die engeren Gassen. Die Böttcherstraße ist berühmt, weil die Ziegel mit Gold und Glocken verziert wurden. Außerdem handelt es sich um eine Kulturgasse, in der sich einige Maler und Museen niedergelassen haben. Lauschen Sie dem Glockenspiel aus Meißner Porzellan zwischen zwei Häusergiebeln, auf dem ein Musiker Volkslieder spielt und immer wieder abrupt zwischen melancholisch und fröhlich wechselt.
Ist Ihnen das nicht eng genug, zwängen Sie sich durch das schräge Schnoorviertel, den einzigen komplett original erhaltenen Teil Bremens. Suchen Sie die schmalste Straße Bremens und finden Sie stattdessen das kleinste Haus Deutschlands. Es wird gerade klimaneutral saniert.
Kaufen Sie in der Bremer Bonbon-Manufaktur oder der Konditorei Süßigkeiten mit komischen Namen, die zwingend mit K beginnen. Bremer Kluten (zuckrige Pfefferminzquader mit Schokolade drum) sind super, ebenso Schnoorkuller (so was wie Pralinen aus Cremes und Baiser). Bremer Kaffeebrot (dünner Zimt-Zwieback) enthält zwar keinen Kaffee, ist aber auch lecker. Bremer Klaben ist eine Art Stollen mit noch mehr Rosinen drin, keine Ahnung, wer so was freiwillig isst.
Zwängen Sie sich durch bis zum Geschichtenhaus. Dieses Museum funktioniert so: Sie laufen von Raum zu Raum, und in jedem Zimmer plaudert eine historische Person vor historischer Kulisse mit Ihnen: Ein Händler, ein Schmuggler, eine alte Frau und die Massemörderin Gesche Gottfried, die gelassen erzählt, wie sie eine ganze Familie vergiftet hat. Lesen Sie hinterher überrascht, dass diese Profidarsteller vorher arbeitslos waren und das Geschichtenhaus eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Das ist doch mal eine andere Lösung, als Arbeitslose gesellschaftlich an den Pranger zu stellen!
Wenn Sie noch ein faszinierendes Museum suchen, fahren Sie in die Außenbezirke der Stadt zum
Universum.
Sollte gerade Oktober sein, können Sie auf dem Freimarkt Achterbahn fahren. Das ist ein erstaunlich großes Volksfest auf einer feuchten Asphaltfläche hinterm Bahnhof. Achten Sie darauf, dass Sie nicht im Regen ertrinken. Ihre Hose wird jedenfalls schon ab der erste Fahrt durchnässt sein, obwohl nach jeder Fahrt ein Schwall Wasser von den Sitzen gewischt wird.
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