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10 August 2025

Donau: Von Bratislava nach Vrakúň

Wir verließen Bratislava auf direktem Weg über die Alte Brücke, was eine gute Idee war, auch wenn mir zuerst eine Fahrschule abrupt in den Fahrradstreifen grätschte und dann zwei Polizeiautos darauf parkten.


Dafür waren wir ruckzuck auf dem Deichradweg am Südufer - und zur härtesten Etappe.
Wegen der mangelnden Einkehr- und Verpflegungsmöglichkeiten sollten sie diese Route sorgfältig planen!, warnt der Reiseführer. Wie um seine Worte zu verhöhnen, überhäufte Bratislava die ersten Kilometer mit Imbissen am Wegesrand. Außerdem ratterte ein leeres Kiesfließband unter dem Radweg hindurch (sonst führen die Dinger immer obendrüber) zu einem Altarm der Donau.

Während die letzten hochwertigen Speckgürtelhäuser und Luxuswohnungen verschwanden, genossen den Luxus, zwischen zwei Wegen wählen zu können: Dem Deichradweg und einer Art Fahrradstraße auf der anderen Seite des Grabens. Die Sonne stieg immer höher, und um uns gegen sie zur Wehr zu setzen, wechselten wir rechtzeitig auf die Fahrradstraße.

Denn direkt am Straßenrand sollte laut Google Maps ein Badesee liegen.
Lag er auch. Und was für einer!
Er heißt Rusovské Jezero (Rosa See? Rosensee? Russensee?) und hat eine tiefblaue Farbe, als käme er frisch aus den Alpen und nicht im flachen Grenzland zwischen der Slowakei und Österreich. Nichts wie hinein! Sogar unser Vater sah ein, dass ihm nichts anderes übrigblieb, nachdem er sich mit einer durchgeschüttelten Kofola-Flasche bekleckert hatte.
Das Wasser ist unglaublich klar (übrigens auch in den Flüssen und Gräben), silbrige Fische wuseln über dem steinigen Grund mit 1,5 Meter Sicherheitsabstand zu menschlichen Füßen herum. Wir schwammen hinaus und steuerten eine Insel an. Doch kurz vor dem Ziel, wir konnten bereits wieder stehen, richtete sich hinter einer Palisade aus geflochtenen Zweigen eine Slowakin auf und rief "Nuda, nuda!" Eine kleine Gemeinschaft scheint die Insel zu einem FKK-Resort ausgebaut zu haben. Da uns nicht der Sinn danach stand, die Badehosen auf den letzten Metern auszuziehen und dann durch die Gegend zu tragen, kehrten wir um.
Ein anderer Anziehungspunkt ist dieser Baum, an dem sich bereits ein paar teils mutige, teils zögerliche slowakische Kinder angestellt hatten. Das Wasser wird rasch tief, deshalb bietet er Möglichkeiten für mehrere Mutproben.
Level 1: Vom seitlichen Ast springen.
Level 2: Ganz weit raufklettern und das Seil der Schaukel herbeiziehen, dann wieder ein Stück runter und sich daran seitlich in den See schwingen.
Level 3: Wie Level 2, nur dass dabei eine Wespe auf dir herumkrabbelt.

Die Donau verbarg sich immerfort hinter Bäumen. Kleine Betonpyramiden wiesen darauf hin, dass wir uns noch immer im Grenzgebiet des ehemaligen Eisernen Vorhangs befanden und die österreichischen, ungarischen oder sonstigen Panzer nicht auf dumme Ideen kommen sollten, denn diese Teile machen bestimmt mehr als einen platten Reifen.
Kurz darauf bogen wir bei Čunčovo links ab. Wären wir geradeaus weitergefahren, wären wir kurz darauf in Ungarn gelandet. Nur ein kurzes Stück weiter rechts, hinter der Autobahn, liegt das Dreiländereck Österreich/Slowakei/Ungarn. Dadurch ist Bratislava die einzige Hauptstradt auf diesemm Planeten, die an zwei andere Staaten grenzt. Die ungarische Variante des Donauradwegs geht hier weiter durch die Städte mit den wunderbaren Namen Mosonmagyaróvár und Győr.

Wir haben uns aber aus verschiedenen Gründen entschieden, auf der slowakischen Seite weiterzufahren. Und das heißt, wir müssen jetzt zu einem Stausee. Es ist der größte der gesamten Donau und einer der merkwürdigsten, die ich je gesehen habe.
Die erste Staumauer hat die Aufgabe, ein bisschen Donau auszusortieren, das mehr oder weniger naturbelassen weiterfließen (und vorher ein bisschen Strom produzieren) soll, und den Rest schon mal kräftig anzustauen.
Als erstes fuhren wir über die ganz schmale Mosoni-Duna (Kleine Donau), die rein nach Ungarn und manchmal kurz am ungarischen Donauradweg fließt, wobei sie sich noch weiter aufteilt. Im Vergleich zum Rest ist sie aber wirklich eine Mini-Donau.

Als zweites holperten wir auf kleinen Blechplatten über sehr großen Blechplatten dahin. (Die Mutter bestand darauf, diesen schmalen Fußweg zu benutzen statt die stark befahrene Straße.) Unter uns rieselte und rauschte etwas Wasser auf die andere Seite und sammelte sich im alten Flussbett der Donau, das auch in heutigen Landkarten einfach Donau heißt.

Viel wilder ist das Wasser an diesem Rafting-Parcour für Paddler, das letztlich auch im alten Donau-Flussbett landet. (Auch anderswo waren Slowaken gerade dabei, ihre Schlauchboote vom Auto zu holen.)
Die weiten Auen und Arme dieser Donau waren die Heimat von Seeadlern, Großtrappen und anderer seltener Arten. Aber sie bereiteten den Menschen auch viel Kummer, vor allem 1965, als das größte Hochwasser jemals die Slowakei heimsuchte. 1977 schlossen die sozialistischen Bruderstaaten Ungarn und die Tschechoslowakei einen Vertrag über den Bau des Wasserkraftwerks, und trotz großer Proteste ging es los mit der Zerstörung einer einzigartigen Auenlandschaft. Weil das meiste auf slowakischer Seite liegen sollte, sollte Ungarn auch ein paar komplett slowakische Bauwerke bezahlen, aber der Strom sollte Hälfte-Hälfte aufgeteilt werden. Doch 1989 wurde der Umweltschutz in Ungarn ein viel größeres Thema. Die neue Regierung ließ die ökologischen Folgen genauer untersuchen und stoppte die Bauarbeiten einfach, ohne ihre Gründe zu verraten. Streit, erfolglose Verhandlungen, und sogar der Internationale Gerichtshof in Den Haag musste entscheiden, dass der sozialistische Vertrag von 1977 rechtmäßig war.

An der Spitze des Stauwehrs steht das Meulensteen Danubiana Art Museum. Ein Name, der in unserer Gruppe große Vorfreude und Erwartungen weckte.
Erwartungen wir: "Prima, da gibt es bestimmt ein Cafe und ein Klo."
Gab es nicht, zumindest für niemanden, der nicht erst einmal den Eintritt bezahlt. Durch den Zaun erspähte ich dieses Kunstwerk, das auf Englisch schlicht Transformation heißt, auf Slowakisch dagegen so viel wie... Erstes Selbstportrait? Okay, was sagt man zu einem Künstler, der sich selbst so wahrnimmt? Glückwunsch zur erfolgreichen Diät?
Zumindest gab es im Foyer den letzten kühlen Moment.

Und dann: Das hier.
Die Slowakei hat sichergestellt, dass 97,5 Prozent des Donauwassers auf ihrer Seite bleiben. Damit auch Platz dafür ist, hat sie 150 Kubikmeter Naturlandschaft weggebaggert. Das Ergebnis ist eine endlose Fläche namens Vodné Dielo Gabčikovo, durchsetzt mit kleinen Grasinseln und... Moment, sind das da hinten Schiffswracks?
Eine der größten Auswirkungen auf die Natur scheint zu sein, dass a) das Wasser auf einmal eine trübe dümpelnde Suppe mit Algeninseln ist und b) nur noch weiße Vögel überleben, von den aber echt viele in allen Größen. Das Ufer besteht aus Asphalt oder Betonplatten, die unter dem Unkraut manchmal kaum zu erkennen sein. Was für ein komisches Gewässer.
Wir gewährten einem Fahrzeug vom Water Management Vorfahrt, dann bogen wir ein auf einen der monotonsten Abschnitte des Donauradwegs. Und kamen dort richtig, richtig fix voran. Ausgerechnet auf der längsten Etappe bekam ich das Gefühl, dass wir uns endlich eingegroovt hatten.
Wir hatten genug Verpflegung, waren noch erfrischt vom Badesee, der auf diesem Abschnitt gefürchtete Gegenwind hielt sich sehr in Grenzen, und alles war asphaltiert.
Nur ein Problem gab es: Schatten. Denn Schatten gibt es auf dieser Strecke ungefähr so häufig wie Pride-Paraden in Afghanistan. Was zu abenteuerlichen Kopfbedeckungen mit nassen Lappen und schützenden Handtüchern führte, sodass ich eine Weile in Begleitung von Deichscheichen dahinradelte. Es gibt zwar Bäume auf diesem Streifen Land, aber sie sind einfach zu weit weg!

Wir erinnern uns: Daneben ist ja immer noch die Donau, also das alte Flussbett, das gar nicht mal so schmal ist. Sie ist jetzt die Grenze. Obwohl wir genau zwischen den Strömen fuhren, war diese Donau sehr schüchtern. Und so war das erste, was ich in meinem Leben von Ungarn sah, ein paar äußerst zaghafte Baumspitzen hinter slowakischen Bäumen.
Um mehr von Ungarn (das heißt, komplette Bäume) zu sehen, musste ich den Deich runter, die Straße überqueren und einem Waldweg folgen. Auch an diesem kurzen Erdstrand hatte sich bereits eine Familie zum Baden niedergelassen.

Nur ganz kurz ist diese Donaugrenze auch vom Radweg aus zu sehen, dort beginnt sie sich zu teilen, wobei ein Arm auch gleich von einem kleineren Wehr gestaut wird. Aber immerhin haben wir dank der ungarischen Umweltschützer der Wendezeit eine grobe Ahnung, wie die Donauauen in der Kleinen Ungarischen Tiefebene damals wohl überall ausgesehen haben.

Allmählich normalisiert sich die Landschaft ein bisschen, der Stausee verjüngt sich zum Privodný kanál, und die Donau entfernt sich ein bisschen lässt Platz für slowakische Dörfer, jedes mit einer silbernen Kugel auf einem Mast. Damit die auch irgendwie von der restlichen Slowakei aus gut erreichbar sind, pendelt eine Fähre nach drüben. Ein paar Autos standen an, doch der Fährmann war zunächst damit beschäftigt, sein modernes Schiff mit einem Wasserschlauch abzuspritzen.

Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als über die Straße in den Schatten der Bäume zu fliehen. Dort kamen wir in Berührung mit der slowakischen Insektenwelt, die, ohne dass wir jetzt alle Arten bestimmen können, schon irgendwie anders aussieht. Neben einer ganz grünen Gottesanbeterin gehörten dazu viele kleine graue hüpfende Dreiecke.
Das Gras in der prallen Sonne war übrigens grün und saftig, es hatte wohl vom Regen der letzten Wochen gut getankt und profitierte natürlich auch von der Flussnähe.

An der Fähre stießen wir jedoch auf ein vergilbtes Schild.
Kotva Bufet, Ankerbuffet, 5 km? Mit großer Skepsis folgten wir dem Schild weiter den Deich entlang, dann runter auf einen alternativen Radweg am Waldrand (immer noch kaum Schatten), und schließlich rein ins nächste Dorf und... oho! Da ist es wieder, das paradiesische Blau von heute Morgen. Das Šulianské Jezero wurde bereits eifrig zum Baden genutzt, zum Springen gab es einen hohen Steg. Eine Familie plantschte liebevoll mit ihren Kindern, nur das behinderte Mädchen blieb an Land und sah von seinem Wagen aus zu. Zum Schwimmen war der See fast so herrlich wie der erste, abgesehen von einem einzigen scharfen Metallstück am Grund und der Tatsache, dass irgendwann Bojen den Badebereich begrenzten.
Und das "Buffet"? War natürlich ein Imbiss mit Holzbänken (diesmal abgedeckt mit Folie gegen tropfende Badegäste). Inzwischen war auch ich vom Englischen ins Tschechische gewechselt, und es funktionierte problemlos. Die Slowaken, die sich einst von einem fehlenden Bindestrich getriggert fühlten, sehen es nicht als Zeichen für tschechischen Zentrismus, wenn man ganz selbstverständlich auf Tschechisch bestellt und erwartet, dass jeder es versteht.

Endlich, endlich erschien am Horizont ein rostrotes Dreieck, welches das Ende der Strecke verkündete. Wir radelten abermals auf der Hauptstraße über eine Staumauer. Die Mauer von Gabčikovo hat acht Kaplan-Turbinen und macht aus dem aufgestauten Donauwasser Strom. Dabei ist die Mauer in der heutigen Form nur eine Notlösung, nachdem die Ungarn ausgestiegen waren - eigentlich waren mehr Turbinen auf ungarischer Seite geplant.

Damit sich die Menschen das Bauwerk ansehen können, wurde direkt unter das rostrote Kontrollgebäude eine Aussichtsplattform in derselben dreieckigen Form gebaut. Sehr schön, dass habe ich so noch nicht gesehen. Und über der Seite, wo das Wasser abfließt, ragt zusätzlich ein Glasbalkon in die Donau. Ich bin schon abgehärtet vom Arnhemer Kirchturm am Rhein, aber trotzdem... aiaiai, das geht tief runter, und wenn ich da unten lande, sind die Strömungen bestimmt richtig fies.

Durch zwei Schleusenkammern passieren die Schiffe durch das Bauwerk. Angeblich sind es jedes Jahr 15 000 Schiffe und 6 Millionen Tonnen Güter, die hier durchtuckern.
Ich habe da meine Zweifel, ob diese Zahlen noch aktuell sind. Obwohl wir heute die Donau fast die ganze Zeit im Blick hatten, war die Anzahl der Lastschiffe, die wir gesehen haben, Trommelwirbel:
3.
Sogar bei den Flusskreuzfahrtschiffen gab es eins mehr.
Was ist los mit der Wasserstraße? Wasser schien es genug zu geben, doch angesichts der ständigen Unsicherheit mit Niedrigwasser haben sich vielleicht mehr Unternehmen auf den Landweg zurückgezogen. Obwohl der Rhein ja schlimmeres Niedrigwasser zu haben schien, und dort ist trotzdem noch viel mehr Schiffsverkehr.

Das reicht für heute, waren schon deutlich über 50 Kilometer. Aber wohin nun? Direkt am Wehr stehen ein paar verfallene Bungalows, die laut Onlinebewertungen total heruntergekommen sind und in denen man sich nicht waschen kann. Üblich und unvermeidlich ist es daher, der Hauptstraße bis in die Stadt Gabčikovo hinein zu folgen. Aber selbst dort hatten wir nichts gefunden. Nein, die nächste freie Übernachtung gab es erst im Dorf hinter Gabčikovo namens Vrakúň, 10 Kilometer vom Ufer entfernt. So einen weiten Umweg nur zum Schlafen hatten wir noch nie gemacht. Immerhin mussten wir nicht die Straße nehmen, es gab auch eine Route über Feld- und Radwege.
Ohne Schatten, versteht sich.
Noch weiter hinten liegt übrigens die Stadt Dunajská Streda, also Donau-Mittwoch, oder eher Donau-Mitte. Hä, das ist doch total weitab von der Donau? Nicht ganz, hinter Dunajská Streda gibt es noch den Malý Dunaj, die slowakische Kleine Donau, die sich schon bei Bratislava abgespalten hat. Auch die Stauwehranlage konnte nicht ganz verhindern, dass die Donau hier ein weit verzweigtes Binnendelta hat. Manche sehen die Große Schüttinsel, auf der wir gerade fahren, als die größte Flussinsel Europas an. Inselflair kommt aber nicht auf.

Aber so weit wollen wir ja gar nicht, uns genügt Vrakúň. Die kurz gemähten und gesprengten Rasenflächen hinter abweisenden Mauern deuten darauf hin, dass es sich eher um ein wohlhabendes Dorf handelt. "Die bauen erstmal ne Mauer und überlegen dann, was reinkommt.", beschrieb unser Vater den Baustil.
Nur unser Hotel fällt da ein bisschen aus der Reihe. Das erkannten wir nicht nur daran, dass der Rasen einen Tacken höher wuchs. Sondern vor allem, weil über den Parkplatz ein brauner Hase hoppelte, welcher sich an besagtem Rasen gütlich tat. Zum Streicheln war er leider zu schüchtern.

Ganz anders dieses Kätzchen, das beim Frühstück um die Tische strich und um Streicheleinheiten bettelte. Leider war es in der Nacht offenbar in eine Wanne voll Klebstoff gefallen und hatte sich anschließend in einer Wiese gewälzt. Der Schwanz klebte am linken Hinterbein, es konnte nur ungeschickt durch die Gegend taumeln, und niemand wollte es in diesem klebrigen Zustand während des Frühstücks berühren.

Unsere Fahrräder übernachten in der Speisekammer zwischen Bierfässern und Kühltruhen. Damit sie auch genügend Platz haben, hauten wir abends im Restaurant kräftig rein.

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