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Noch mehr Radreisen

07 April 2025

Havel: Von Potsdam nach Brandenburg

Havelgeschwafel VII: Die Hunderunde
Von den unangenehmen zu den sympathischen Kötern - Wie viel das dringende Bedürfnis nach Windmühlen kostet - Ostersuche mal anders und dann nochmal anders - Mein Name ist Albrecht, ich falle hier ein - Die Keimzelle des Ostens - Memento Mopsi

Hinweis: In diesem Beitrag sind 11 Waldmöpse versteckt. Wer findet alle?

Wir verließen Potsdam an einem noch schöneren, bunteren Dampfmaschinenhaus, das als Moschee gestaltet wurde. Es brauchte jeden Tag vier Tonnen Kohle brauchte, um Wasser durch eine 1,8 Kilometer lange Leitung nach Sanssouci zu pumpen. Dort kam es als 38-Meter-Fontäne raus, damals ein Rekord.
Sogar die Wohnblocks dahinter sind erstaunlich bunt.

Nach ein paar Straßen landeten wir am

Havelsee Nummer 35: Templiner See (hat nichts mit dem Templin aus der Uckermark zu tun)

Hinter diesem herrlichen Uferweg wurden zuerst Zeppeline gebaut und dann Sportveranstaltungen abgehalten. Davon ist nichts mehr übrig, stattdessen irrte ich vergeblich durch einen Irrgarten aus Glasfassaden, um die versprochene Toilette zu finden.

Später im Wald kamen vorbei an einem Campingplatz mit Sandstrand und Strandbar mit Blick auf viel Wasser und noch mehr Bäume. Ich kann ich mir durchaus vorstellen, dass der Urlaub hier Spaß macht. Nur die Hundebesitzer und ein Fahrradschlauch vermiesten uns den Ort ein bisschen. Erstere, weil sie ihren Hundekot zwar in Tüten packten, diese jedoch nicht im Mülleimern, sondern ganz einfach direkt am Wegesrand entsorgen. Letzterer, weil er beschloss, direkt neben einer solchen Tüte plattzugehen.

Die Havel macht nun ausladende Zickzacks in Richtung Nordwest und Südwest, während sie immer immer dickere Seen durchquert. Am südlichsten Punkt bei Geltow verabschiedet sich der Radweg Deutsche Einheit auf seiner eigenen Route nach Bonn über den

Havelsee Nummer 36: Schwielowsee


Eine lauter Ortsdurchfahrt später standen wir in Werder. Der Name bedeutet vom Wasser umflossen und das erklärt auch endlich mal, warum ich schon so viele Inseln namens Werder gesehen habe. Auch die Altstadt von Werder liegt auf einer kleinen Havelinsel, so war sie vor Angreifern geschützt. Anfangs lebte sie von Fischerei und Weinbau, aber in den kalten Wintern gingen die Weinstöcke der Mönche immer wieder ein. Also sattelte die Stadt um auf Ziegel und Obst - die einzigen Weine, die heute aus dem "Obstgarten Brandenburgs" kommen, sind Obstweine. Da war die Stadt schon weit über die Insel hinausgewachsen, unter anderem wegen der katholischen Saisonarbeiter.
Die Altstadt ist eigentlich richtig schön. Eigentlich.

Auf dem süßen Marktplatz sprudelt ein Springbrunnen, an der Uferwiese verläuft ein Kiesweg für Fußgänger, und überall haben Eisdielen geöffnet, etwa die sehr sehr gute Dolci e Gelati. Als wir sahen, dass es dort ungewöhnliche Sorten wie Blutorange gibt, haben wir direkt Blut geleckt.
Nur leider versuchen sehr viele Autofahrer trotz der winzigen Entfernungen, ihr Kraftfahrzeug auf diese Insel zu quetschen. Egal, wo man steht, immer poltert gleich ein PKW übers Kopfsteinpflaster heran und will da durch.

Auf dem Hügelchen der Insel hat sich die neugotische Heilig-Geist-Kirche bestens herausgeputzt. Sie sieht tatsächlich sowohl neu als auch gotisch aus, eine eher seltene Kombination.

Direkt daneben steht neben einigen wortreichen Erklärungstafeln eine Mühle wie in Potsdam, nur dass sie sich nicht dreht und man sie dafür betreten kann. Zumindest steht das so auf dem Schild, laut dem die Mühle gerade geöffnet sein müsste. Irgendwo auf dem weitläufigen Mühlengrundstück saß ein Mann eifrig am Kassiertisch und wartet auf Besucher. Die ausblieben - denn das Tor zum Grundstück war leider verschlossen. Neben mir diskutierten einige Senioren: "Sollen wir warten, bis der das endlich aufschließt?" - "Wollt ihr da hoch?" - "Nee, da steige ich nicht hoch!"

Ich wartete genau eine Minute ab. Eine gute Entscheidung, denn nach einer Minute bemerkte er tatsächlich, dass das Besucheraufkommen mit offenen Türen etwas höher ist, und schloss auf. Ich stieg eine Holztreppe hoch am Mühlenbock a.k.a. "Hausbaum" vorbei, auf dem die komplette Mühle von nur einem Menschen in die richtige Windrichtung gedreht werden kann. Oben erwarteten mich zwei Stockwerke, in denen lauter Zahnräder und Seile von der Decke hingen, dazu eine römische Handmühle aus Xanten. Nicht gerade riesig, aber für 1,5 Euro kann man nicht meckern.
Die originale Mühle war eine ganz klassische Bockwindmühle und wurde 1973 von Brandstiftern abgebrannt. Die Stadtverwaltung wollte aber ganz, ganz unbedingt ihre Mühle wiederhaben und war so verzweifelt, dass sie der DDR eine ähnliche, aber total kaputte Mühle ohne Flügel für 6500 Mark (Das sind 13000 Mark! Ach nee, warte, das waren ja eh schon Mark...) abkaufte, auseinanderbaute und aufwendig wieder zusammenpuzzelte.

Havelsee Nr. 37: Großer Zernsee
Havelsee Nr. 38: Kleiner Zernsee

Hinter Werder verließen wir endgültig den belebten Großraum Potsdam/Berlin. Es waren zwar immer noch Radler unterwegs, aber offensichtlich nicht direkt aus den angeregten Dörfern - was wir daran erkennen konnten, dass es kaum noch angrenzende Dörfer gab. Endlich wieder Brandenburg, wie man wie man es kennt!
Der Radweg folgte über weite Strecken den Bögen der Havel auf einem Deich, daneben nichts als grüne Wiesen. Meine Mutter kam mit Vergleichen zur Insel Föhr an, ich fühlte mich eher an den Wümmeradweg kurz vor Bremen erinnert. 

Havelsee Nr. 39: Trebelsee

Allmählich wird die Havel zum unübersichtlichen Geschmörgel aus Inseln, Seen und Sümpfen, nichtsdestotrotz fanden wir kurz hinter der Fähre nach Ketzin eine unwahrscheinlich guter Raststelle. Alle Ausflügler hatten sie übersehen, nur unser Jüngster entdeckte den wunderbareren kleinen Havelstrand mit malerisch ungestützten Bäumen, auf denen auf wundersame Weise plötzlich Ostereier erschienen. An einem hing sogar eine vergessene Schaukel. Haus- und Motorboote schickten uns kleine Wellen entgegen.

Das Wasser war erstaunlich klar, kaum zu glauben, dass dieses Zeug direkt aus Berlin angeflossen kommt! Daraus ergaben sich ganz neue Möglichkeiten zum Ostereierverstecken.

Auch auf dem Radweg prangten Osterbotschaften aus Kreide in Deutsch und Englisch.

Überraschenderweise wurde es noch ein bisschen hügelig (1 Müllberg, mehrere Waldberge), hinzu kamen die wassergefüllten Deetzer Erdlöcher, erschaffen zwecks Abbau von Ton und Aufbau von Berlin. Wolken von Insekten waberten über den Weg.

Zum Schluss folgt der Radweg direkt der Straße über die Gleise. Brandenburg hat in der Gegend überraschend viele Bahnlinien, und eine davon kreuzten wir jetzt. Die Schranken waren zwar oben, doch oft sind sie das nicht und man muss bis zu 15 Minuten warten. Deshalb hat die Stadt den Bau einer Brücke beantragt. Ein paar Monate später war sie fertig und... ups, man kommt da ja gar nicht hoch. Sie haben vergessen, auch die Straßen zur Brücke hinauf zu beantragen. Nur auf einer Seite gibt es eine provisorische Rampe für die Bauarbeiter, damit sie oben auch den Asphalt auftragen konnten. Tja, jeder vergisst mal was. Oder wie Horst Ever sagt: Und wem das noch nie passiert ist, der werfe die erste Rolltreppe.

Nach über 50 Kilometern in praller Ostersonne schleppten wir uns doch recht erschöpft nach Brandenburg an der Havel. (Bei dieser Stadt muss wirklich jeder den Flussnamen nennen, um Verwirrung zu vermeiden.)
Diese Inselstadt wurde nicht nur an die Havel, sondern mitten in das unübersichtliche Inselgewirr der Havel reingebaut, mit der Folge, dass überall irgendwo Wasser ist - aber (anders als bei den anderen norddeutschen Inselstädten) nirgendwo eine Klappbrücke. (Vielleicht auch besser so, am Ende wäre die Klappbrücke sonst senkrecht über der Havel geschwebt, weil die Brandenburger vergessen haben, die Verbindungsstücke vor und nach dem klappbaren Bereich zu beantragen.)
Zuerst radelten wir über die Neustadt auf der großen und modernsten Insel. Die Kirschbäume begrüßten uns mit blühenden rosa Puscheln, die wir schon auf der Strecke ein paarmal gesehen hatten.

Viel kleiner, aber historisch wichtiger ist die Dominsel. Um das zu erklären, müssen wir zurückspringen in eine Zeit, als der Osten Deutschlands noch als arme, abgehängte Provinz galt und alles Wichtige im Westen passierte - so unglaubwürdig das aus heutiger Sicht auch klingen mag. Die Rede ist natürlich von den 90ern.
Oh, pardon, da fehlt eine Null, ich meinte die 900er.
Im Jahr 948 zog ein christlicher Bischof auf diese Insel - der erste östlich der Elbe. Aber die Slawen starteten einen Aufstand und stoppten das Christentum nochmal für 200 Jahre. (Von der damaligen Burg Brandenburg ist noch eine Kapelle übrig.)
Bis Albrecht der Bär kam (nach dem Bäerlin höchstwahrscheinlich nicht benannt wurde, auch wenn das zum Teil behauptet wird). Albrecht eroberte das Land nicht nur mit Bärenstärke, sondern manchmal auch mit Diplomatie und Bestechung (zum Beispiel wurde der letzte Slawenfürst Taufpate von Albrechts erstem Sohn). Etwa zu der Zeit wurde der Grundstein für den Dom (im Bild) gelegt.

Albrecht der clevere Kolonisator gründete auch die Neustadt (auf der großen Insel) und die Altstadt (auf dem Festland), wo sich niedrige Häuser an den Boden ducken und nur das Rathaus ein bisschen aufragt.
Um 1150 wurde Albrecht der erste Markgraf von Brandenburg. Wobei "Brandenburg" damals nicht ganz das heutige Bundesland war, sondern bloß das Havelland - erst seine Nachfolger eroberten weiter bis zur Oder. Trotzdem, der Markgraf von Brandenburg war einer von sieben Kurfürsten, der den Kaiser wählen durfte (quasi der erste Quoten-Ossi). Zum ersten Mal spielte Ostdeutschland wirklich eine Rolle, und zwar eine immer größere: Aus der Mark Brandenburg wurde Preußen und daraus irgendwann das Deutsche Reich. Und das süße kleine Brandenburg an der Havel war die Hauptstadt von alldem.
Also, anfangs.
Aber dummerweise hatten da ein paar Dödel an der Spree auch eine Stadt gegründet, und die lag einfach von den Handelsrouten her besser und wuchs viel schneller. Als die Hohenzollern also die Mark Brandenburg übernahmen, verlegten sie ihre Residenz nach Berlin (und später zusätzlich nach Potsdam). Brandenburg wurde abgehängt und verdiente sein Geld später damit, Fahrzeuge für Brennabor zusammenzuschweißen.

Der berühmteste Sohn der Stadt war auch zwar auch adelig, aber es war ist nicht Albrecht der Bär, denn erstens wurde der wurde nicht hier geboren - und zweitens mag er zwar slawische Dörfer verwüstet haben, aber nur aus langweiliger Machtgier und nicht, weil in diesen Dörfern ein Bild schief hing.
1923 kam Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow im heutigen Arbeitsgericht von Brandenburg auf die Welt. Kurz darauf wurde er in der St.-Gotthard-Kirche getauft. (Die Infotafel an der Kirche erwähnt die Taufe nicht. Und sie spricht zwar die Außensanierung von 1990/93 an, aber nicht, dass von Bülow sie fast komplett bezahlt hat.)

Mit einem solchen Namen war Bernhard-Viktor "Vicco" Christoph-Carl von Bülow ja quasi in die Wege gelegt, dass er sich später a) einen Spitznamen zulegen und b) über Deutsche lustig machen würde. Das Wappen der von Bülows zeigt einen Pirol, denn der macht ein Geräusch, das ungefähr so klingt: Bülow, bülow. Auf Französisch heißt der Vogel Loriot. Und diesen Namen wählte Bernhard-Viktor zum Künstlernamen und wurde mit ihm der bedeutendste Vertreter, tote Vertreter, der bedeutendste toteste, also nicht mehr lebendige Vertreter deutscher Comedy.
Nun ja, erst einmal musste er einen Krieg überleben. Und dann eine Zeitschrift finden, die seine Comics mit Knollennasenmännchen drucken wollte, obwohl da so furchtbar provokante Dinge zu sehen waren wie nackte Frauen oder Hunde, die Menschen an der Leine führen. (Was damals halt provokant war - heute schwer vorstellbar. Also außer, man lebt in den USA.)
So einen unvergesslichen Künstler ehrt man natürlich nicht, indem man eine Statue vom Künstler selbst aufstellt, sondern von seinen Figuren. Vor dem Rathaus sitzt ein lebensgroßer Mann mit Knollennase. Und wer die halbe Altstadt auf einem wunderbaren Uferweg umradelt, entdeckt dort (neben viel Grün, Booten und Bootshäusern) einen zweiten. Die Plastikmänner sehen den Zeichnungen jetzt nicht soo ähnlich und scheinen frisch aus dem 3D-Drucker zu kommen. Ältere Fotos deuten darauf hin, dass sie ähnliche Männchen aus Holz ersetzt haben.

Viel besser hat uns die zweite Hommage gefallen, die erst nach Loriots Tod entstanden ist. In einem seiner Sketche parodiert er eine Naturdoku, laut der Möpse im Prinzip Rentiere sind, denen die Nase und das Geweih weggezüchtet wurden. Das erkennt man daran, dass in deutschen Wäldern noch heute der scheue Waldmops mit einem kleinen Geweih herumstolziert.
Seitdem hat sich einiges verändert. Der Waldmops hat sich an urbane Lebensräume angepasst und seine Scheu den Menschen gegenüber abgelegt. In Brandenburg liegt er in Parks, besteigt Brunnenmauern, trinkt aus Pumpen und pinkelt gegen Steine.

"Ha! Da ist noch einer!"
"Den habe ich gerade schon gesehen."
"Mist. Aber da!"
Wir machten einen richtigen (vertrauensbasierten) Wettkampf daraus und durchkämmten die Straßen und Parks - Ostern ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos. Eigentlich wurde die Mopssuche für uns zur wahren Ostereiersuche. Und die ist gar nicht so einfach, denn manche Metallmöpse lungern in versteckten Heckenecken. Es soll schließlich eine Herausforderung werden. Im Online-Stadtplan zeigt die Stadt ihre Möpse deshalb ganz bewusst nicht einzeln, sondern verrät nur, wie viele man auf jeder Insel jedem Mopsareal finden kann (12 in der Altstadt und jeweils 5 in der Domstadt, östlichen und westlichen Neustadt).
Wer trotzdem schummeln will, für den hat der Jüngste einen Tipp: "Guck doch auf Google Möps!"

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