Zu guter Letzt rundet die Bode ihr Traumtal ab, indem sie noch eine Felsformation namens Teufelsmauer streift. Das ist die mit Abstand großartigste Stelle der langgezogenen Hügelkette vor dem Harz. Der Teufel hat ein paar Felsbrocken vom Brocken geklaut, mit schmuddeligen Händen zusammengematscht und möglichst cool aufgestapelt, damit Touristen kommen. Eigentlich voll nett von ihm, was haben die Leute nur gegen den Typen?
Direkt neben der Bode startet die Treppe zur Mauer hinauf. "Das waren an die 200 Stufen", jammerte ein erschöpftes Touristenpaar - ausgerechnet auf Tschechisch, dabei hat jeder zweite Wanderweg in ihrem Land weit größere Höhenunterschiede.
Der Teufelsmauerstieg führt auf dem Grat entlang, direkt neben der Mauer und mit weiten Blicken in alle möglichen Richtungen. Aus der Nähe sehen die Felsen seltsam zusammengequetscht aus. Zu Recht: Der Harz hat aller Wasserschichten aus ihnen rausgepresst und sie möglichst hart gemacht. Super, dachten die Leute, daraus bauen wir eine Kirche! Bis der preußische Landrat Friedrich Weyhe schon 1833 sagte: Stopp, abbauen verboten, lasst noch was für die Touristen übrig. Man müsste ihm und nicht dem Teufel für diese geweyhte Mauer danken.
Aber Achtung! Wer den sogenannten Essbare-Wildpflanzen-Park auf halber Höhe betritt, sollte das Kleingedruckte lesen: Bitte beachten Sie, dass auch Giftpflanzen dabei sein können.
Ursprünglich ist da auch weicher Sandstein dabeigewesen, aber der ist längst verwittert und steckt jetzt im sandigen Boden überall.
Nach fünf Kilometern angenehmem Uferweg bin ich am Rande des Brühls herausgekommen. Des was? Der Brühl ist ein barocker Garten, anfangs nur zur Deko, später um Saatgut zu züchten. Ein völlig zweckloser Garten konnte im 19. Jahrhundert einfach nicht angehen - nicht mal in einer so dekorativen, dominanten Domstadt wie Quedlinburg.
Ich hatte nicht nur die größte und bekannteste Stadt an der Bode erreicht, sondern auch Deutschlands größte Fachwerkstatt mit 1300 Häusern.
Die Kirchtürme auf dem Schlossberg überragen die Stadt, doch eigentlich sieht sogar außerhalb des absoluten Stadtkerns jedes zweite Gebäude nach einem Palast aus. Es gibt dermaßen viele Kirchen, Klöster und Kultur, dass ich der Liste der Sehenswürdigkeiten nicht wirklich durchblicke.
Aber am besten gefällt mir in Quedlinburg dieses bunte, enge Tunnelgässchen mit dem Namen Schuhhof. Es grenzt direkt an die Straßen Himmel und Hölle - eine Stadt der Extreme.
Die Bode war vorhin immer noch relativ wild. Heißt das etwa, auch der letzte Abschnitt bleibt so spannend wie bisher?
Nein, das heißt es nicht.
Definitiv nicht.
Der Uferweg an der Teufelsmauer war nur kurz, und dann hieß es erstmal: Straße fahren. Ich kam vorbei an der
Selke- und
Holtemmemündung, goldenen Feldern und extrem vielen Dörfern, die auf -leben enden. Hier liegen Gatersleben, Hedersleben, Adersleben, Wegeleben, Großalsleben, Kleinalsleben, Hadmersleben, Groß Germersleben, Klein Germersleben, Andersleben (trotz des Namens ein absolutes Durchschnittsdorf), Etgersleben, Wolmirsleben... schon gut, ich hör ja auf. Ist es nicht etwas verdächtig, wenn die alle so sehr betonen müssen, dass sie noch am Leben sind?
Nur Gröningen hatte so was nicht nötig und nannte sich grob übersetzt
Die Leute auf dem Grünland, kurz, knackig und passend.
Viele der Lebensdörfer haben eine Burgruine oder zumindest ein Gutshaus. In Gröningen lebten im Sommer die Bischöfe von Halberstadt, und die bauten so stabil, dass der eine oder andere Teil des Gebäudes dem Abriss widerstand. Stühle hielten die Bischöfe anscheinend für überbewertet, denn hier steht Deutschlands größte Standkirche mit 0,0 Sitzplätzen. Angeblich hat sie die schönste und "klanglich größte" Orgel der Welt, ich bin nicht ganz sicher, ob dieser Rekord wirklich anerkannt ist. Das mit dem größten erhaltenen Riesenweinfass der Welt glaube ich schon eher.
Auf einem super Plattenweg, der zum Aller-Harz-Radweg gehört, bin ich nach Oschersleben gekommen. Die Stadt ist etwas größer, obwohl sie 1659 komplett abgebrannt ist. Beim Aufbau wählten die Oscherslebener ein ungewöhnliches Design: Am schönsten ist nicht der Marktplatz selbst (der ist eher langweilig), sondern
die Straße dahinter, auf der man den Marktplatz quasi von hinten sieht. Für Ostalgiker gibt es ein Ostalgiemuseum, in dem die Kantine Gerichte wie in der DDR serviert.
Wenn Sie den Namen Oschersleben jemals gehört haben, dann kommen Sie mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit a) aus der Gegend oder interessieren sich b) für Autorennen. Kurz hinter der Stadt steht Deutschlands nördlichste Autorennstrecke, bekannt für das größte Opeltreffen der Welt. (Ihre Kleinkinder können die Autofans w abgeben, damit sie sich altersgerecht beim größten Popeltreffen der Welt amüsieren.)
Soo, endlich mal eine Bank am Uferweg. Weder Bank noch Uferweg sind im allerbesten Zustand, aber meinem knurrenden Magen war das schnuppe: Zeit fürs Mittag!
Diesem landwirtschaftlichen Schlauch bin ich lieber ausgewichen. Er sah mir verdächtig nach einer Gülle-Dusche aus. Eine neue Form des Bauernprotests?
In Klein Oschersleben beginnt dann endlich der eigentliche Boderadweg, weit weg vom Harz und damit den besten Stellen der Bode.
Er ist 40 Kilometer lang und sehr unterschiedlich. Auf die Straße musste ich nur noch selten, aber die Uferwege hatten so ziemlich jeden Belag, den man sich vorstellen kann.
Immer mal wieder tauchten Spuren alter Bahntrassen auf, aber nicht als Bahnradweg, sondern immer quer über den Radweg. Schon hinter der Teufelsmauer hatte eine mysteriöse Friedensbrücke, die man vom Fluss heruntergenommen hatte, vor sich hin gerostet. Die alte Bahnbrücke bei Staßfurt verlor schon 1931 ihre Gleise und war ab da nur noch für Fußgänger und Filmkulissen da, bis sie 2018 abgerissen werden musste.
Staßfurt ist ein nettes Städtchen, auch wenn nicht so ganz klar ist, wo hier eigentlich der Markt oder Mittelpunkt sein soll. Das hat einen Grund: Ab 1852 wurde hier versucht, Kalisalz abzubauen. Aber das lief nicht so glatt wie an der Werra: Auf einmal spielten die Staßfurter Der Boden ist Lava Salzlauge. Immer wieder sackte der Boden nach unten und verschluckte Teile der Altstadt. (Nur für die Bode war das vermutlich ganz gut, sie wurde nicht so versalzen wie die Werra.) Die DDR verlegte sich dann doch lieber darauf, hier Radios und Fernseher herzustellen.
Oh, was ragt denn da hinten über dem Fluss auf? Schloss Hohenerxleben ist das schönste Bode-Bauwerk hinter dem Harz. Auf der Radroute sieht man es nicht nur aus der Ferne, sondern fährt auch auf den Hügel rauf und am Rosengarten vorbei.
Hier stand schon 1205 eine Burg, auch wenn das Schloss erst seit dem 18. Jahrhundert so aussieht wie jetzt. Die meiste Zeit gehörte es der Adelsfamilie Krosigk, die im Prinzip auch das ganze Dorf hat bauen lassen. Die SED hat sie ereignet und das Schloss verfallen lassen.
Heute sehen die Mauern abgewetzt, aber stabil aus. 1997 hat es eine Stiftung gerade so gerettet und organisiert jetzt da drin Kulturveranstaltungen. Die Vorsitzende ist eine Musikerin und Tänzerin namens Friederike Krosigk.
Immer mal wieder zweigt ein zweiter, gerade Arm von der Bode ab, der meistens Mühlengraben heißt. Zweimal folgt die Radroute diesem Arm. Am schönsten ist der Hochwasserumfluter im Schlosspark Neugattersleben mit seinen bleichen, aber prächtigen Brücken.
Nienburg an der Saale liegt auf einem Kalksteinvorsprung, sieht aber null danach aus, denn inzwischen ist es wirklich, wirklich flach. Auf dem Markt bimmelt ein Glockenspiel, das im Zweiten Weltkrieg zerdeppert und komplett neu gegossen wurde.
Eine Brücke führt über die Bode und direkt danach eine über die Saale. Hier findet sich der letzte Boderadweg-Wegweiser. Und auch fast der erste: Die Beschilderung war armselig.
Von den Brücken aus ist die Mündung nur vage zu erkennen, vor allem, wenn der Sonnenuntergang auch noch in voller Stärke über die Häuser hinwegstrahlt. Ich empfehle trotzdem, es einfach beim Blick von den Brücken zu belassen. Es gibt zwar einen halbwegs brauchbaren Waldweg auf die grüne Landspitze zwischen den Flüssen, aber dort leben 99 Prozent der Gesamtpopulation an Mücken von der Bode und Saale. Ausgelaugt und ausgesaugt floh ich von dem Punkt, an dem sich ganz unspektakulär der coolste Harzfluss mit dem vielseitigsten Elbfluss vermischt.
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