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02 Juni 2024

Saale: Von Saaldorf nach Rudolstadt

Saalegeprahle II: Die Stausaale

An der Saale stillem Strande
liegen Stauseen groß und voll.
Ganze Dörfer sind verfallen
und geflutet ihre Hallen.
Trotzdem sind die Seen toll.
 

Stauseen... viele Flüsse haben einen, aber die Saale hat komplett übertrieben.
Stauseen... woanders sind sie ein Anlass für entspannte Radwege am Ufer. Aber an der sogenannten Saalekaskade sind sie ein Anlass für einen echt harten Tag. Die Route windet sich mit viel und wenig Abstand um die Seen und nimmt dabei so gut wie jede denkbare Form an.

Am Bleiloch-Stausee erstmal als Kiesweg in einem bergigen Auf-und-ab-Wald. Alles ist total zugewachsen und wild, obwohl kein Schild und nichts auf ein Naturschutzgebiet hinweist. Wer hätte gedacht, dass es das in Deutschland noch gibt - eine Wildnis, die nicht wegen irgendwelcher Schutzgesetze wild ist, sondern einfach deshalb, weil sich niemand für sie interessiert? Sehr schön eigentlich, auch wenn es wirklich schwierig ist, in dem dichten Gestrüpp von Brennnesseln überhaupt eine Stelle zum Übernachten zu finden.
Vom Stausee war erstmal nichts zu sehen. Nur die Musik von einem Partyboot (zumindest vermute ich das) wummerte herauf.


Erst an der Spitze eines Stausee-Ausläufers traf ich wieder auf das Wasser. Ich fuhr über einen Damm, der die Spitze des Ausläufers abschneidet und zu einem trüben Teich macht. Da ist der richtige See schon der schönere Anblick, kein Wunder, dass ihm alle Bänke zugewandt sind. Ein schöner Platz für ein Frühstück, wenn die Bänke nur nicht so nass wären.

Nach einem katastrophalen Hochwasser 1890 hatte zum ersten Mal jemand die Idee: Hey, was wenn wir ab jetzt selber kontrollieren, wie viel durch die Saale fließt? Aber erst 1932 war der größte Stausee Deutschlands dann fertig. Inzwischen war Hochwasserschutz gar nicht mehr so wichtig, es ging vor allem um den Strom, den man damit machen kann. Und das kleine Saalburg, das man bisher nur für seinen Marmor kannte (der immerhin im Berliner Dom und in St. Petersburg verbaut wurde), lag auf einmal am Ufer von etwas, dass aussieht wie ein skandinavischer Fjord. Da passt es irgendwie, dass Vattenfall die dazugehörigen Wasserkraftwerke betreibt.
Bleiloch-Talsperre klingt nach einer ganz typischen Staumauer, einem richtig unansehnlichen Betonmonster. Dabei ist der Name viel älter als die Mauer: Das Große und Kleine Bleiloch waren zwei fiese Strudellöcher in der früheren Saale, die immer mal wieder Schiffe ins Verderben rissen. Trotzdem waren die Saalburger ihnen gegenüber wohl irgendwie nostalgisch, wenn sie die Talsperre nach ihnen benannt haben.

Boah! 215 Millionen Kubikmeter Wasser muss ich ansammeln, damit ich über die Mauer frei nach unten fließen darf. Habt ihr eine Ahnung, wie selten so viel zusammenkommt?

Hinter der Halbinsel, auf der sich die schicken Fachwerkhäuschen Saalburgs der Brücke entgegenstrecken, beginnt dann das letzte, was ich auf diesem Abschnitt erwartet hätte - ein Bahnradweg. Eine Weile läuft der sogenannte Oberland-Radweg über den Campingplätzen am Ufer entlang.

Dann überquert er einen Stausee-Ausläufer und verschwindet in den Bergen. Die erste Staumauer bekam ich also nicht zu Gesicht, aber das machte mir herzlich wenig aus.
Die Schleizer Kleinbahn wurde zuerst für den Bau der Talsperre gebaut, aber die Schleizer wollten dann gleich Schienen mit Köpfen machen und ihr normales Bahnnetz erweitern.

Endlich mal ein Anstieg, den ich auf angenehme Weise überbrücken kann! Entspannt radelte ich am alten Bahnhof von Gräfenwarth vorbei.

Wow, nicht nur angenehm, sondern auch noch spektakulär!

Erst ganz oben an einem komplett zugewachsenen Tagebau musste ich die Bahntrasse, die nach Schleiz weiterführt, wieder verlassen und die Straße bergab nehmen. (Lieber so als umgekehrt!)

Von oben stieß ich auf den Ort Burgk. (Der Name sieht aus wie ein Erstklässler, der nicht sicher ist, wie man Burg schreibt.) Am Ortseingang steht der Saaleturm: Eine 43 Meter hohe Spirale aus Stahl und Holz. Auf den einzelnen Stockwerken kann man etwas über die Burgken und die Saale lernen, ehe man ganz oben die Bögen des Flusses bewundert. Kostet das was? Da hatte ich mich bisher gar nicht so genau informiert.

Okay, die erste Etage erreichte ich schon mal gratis. Aber dann: 2 Euro ins Drehkreuz bitte, aber erst ab acht Uhr, genau wie beim Bayernturm von Zimmerau. Die halbe Stunde hätte ich ja gewartet, aber der Automat wechselt kein Geld, und auch nirgendwo sonst kann man um die Zeit passende Münzen eintauschen. Also musste ich es wohl oder übel bei der ersten Etage belassen.
Die Aussicht war unterwältigend.

Die Saaleschleifen bewunderte ich stattdessen durch die Bäume. Inzwischen hatte sich das Wasser schon zusammengedrängt zum

Stausee Nr. 2: Talsperre Burgkhammer

Er sah ungefähr so breit aus wie der Bleiloch-Stausee gegen Anfang, dabei ist er schon fast zu Ende.
Und ich bin noch so hoch über ihm, dabei bin ich doch schon die ganze Zeit bergab gefahren!

Aber Burgk ist ein sehr horizontales Örtchen. Eine Schussfahrt tiefer liegen nicht nur die meisten Häuser, sondern auch das namensgebende Schloss Burgk (ich habe mir diesen Namen nicht ausgedacht, sorry). Wie der Rest von Burgk schlief es noch, aber in den äußeren Ring konnte ich trotzdem reinfahren. Wirklich eine schicke Burg, und auch noch direkt am Wegesrand! Es hat eben auch Vorteile, wenn die Strecke dermaßen auf und ab geht.

Im Mittelalter war das noch eine ganz klassische gotische Burg zur Verteidigung. Fürst Reuß wohnte nicht nur auf dem Berg, sondern auch noch so in der Spitze der Flussschleife, sodass man wirklich nur auf einem schmalen Grat von Norden reinkonnte. Sag mir, dass du keinen Besuch willst, ohne zu sagen, dass du keinen Besuch willst!
Jahrhunderte später wollten die adligen Bewohner auf einmal doch Besuch - preußische Grafen machten daraus ein Rokokko-Schlösschen zum Jagen, Angeben und Pläneschmieden. In der Zeit dazwischen haben sich alle möglichen Baustile angesammelt. Der widersprüchliche Name Schloss Burgk passt also schon irgendwie.

Noch eine Schussfahrt tiefer ist dann endlich das Wasser... also, gleich... nur noch ein bisschen runter. (Irre, wie hoch ich gewesen bin, und wie wenig ich das dank der Bahntrasse gemerkt habe.) Über den Felswänden müsste die Burg sein, aber selbst mit dem Kopf im Nacken war sie kaum zu erkennen.

Vor der Talsperre Burgkhammer stoppt die Saale. Der Regen der letzten Wochen hatte den See gut gefüllt, überlaufen tat jedoch nichts.
Burgkhammer... Die Burgk habe ich gesehen, aber wo ist der Hammer? In der Vergangenheit. Vor der Talsperre musste die Saale Wasserräder mit Hämmern dran (technisch leicht vereinfacht ausgedrückt) für ein Hammerwerk drehen. Damit im Winter nichts zufror, floss das Wasser durch einen extra gebuddelten Tunnel.
Allzu groß ist diese Talsperre nicht, nur eine nüchterne, hellgraue Stufe.

Entsprechend sieht das Tal dahinter kaum anders aus als davor. Kein Wunder, der Fluss verdickt sich ja gleich wieder ein bisschen zum

Stausee Nr. 3: Saalestaustufe a.k.a. Talsperre Walsburg

Und es ist großartig. Diesmal bin ich völlig allein mit dem Stausee - nur ich, die Felswände, der Kiesweg, das Wasser und der Wald. Und ein paar Leitpfosten, die mich davon abhalten sollen, noch sehr viel alleiner im Stausee zu sein.

Nach einer Weile wollte der Stausee sogar ohne mich allein sein, und schickte mich den Berg hoch. Ich sollte die Flussschleife abkürzen, in der die Staumauer liegt. (Sofern man das Wort abkürzen für etwas verwenden kann, das dreimal so lange dauert.) Umpf... diesen Anstieg hatte ich zu spät gesehen, ich musste schieben.

Als ich ans Ufer zurückkehrte, hatte die Saale zur Abwechslung mal eine kurzen Abschnitt ohne Staumauer angetreten. Ohne Staumauer? Nein, ganz ohne geht es natürlich auch nicht. Wie bei den meisten Flüssen rauschen zumindest hier und da ein paar dieser kleinen Staustufen und produzieren die größten Wasserfälle der Saale.

In Zeiten des Trinkwassermangels suchte der Mechaniker Ernst Heinze neue Quellen und fand eine, die zufälligerweise bald darauf seinen Namen tragen sollte.
Trinkwassermangel, ja, das beschreibt meine Situation inzwischen recht gut - ich habe noch immer nichts zum Nachfüllen gefunden. Mal sehen, laut Schild wurde der Heinze-Quelle eine hervorragende Mineralwasserqualität bescheinigt, das Dorf Ziegenrück hat nur nicht genug Geld für regelmäßige chemische Prüfungen, und deshalb ist das Wasser nicht offiziell zertifiziert. Nun, eine Flasche, bis ich zum nächsten Wasserhahn komme, werde ich ja wohl vertragen.
Über der Quelle thront eine richtig große, gute Schutzhütte. Da hätte ich gern drin gepennt!

Ziegenrück war clever und hat sich in diesem unwegsamen Gebirge nicht nur Quellen, sondern auch Einnahmequellen gebaut, nämlich die älteste Wassermühle der oberen Saale und eine Chaussee. So nannte man damals Straßen, die gepflastert, halbwegs befahrbar und deshalb nicht gratis waren. Am Haus des Chausseemeisters hängen noch die Preise (pro halbe Meile) aus. Mal sehen, da steht was von Fuhrwerken, Schweinen, Lämmern, Kälbern (Kinderrabatt: Weniger als fünf Tierbabys kommen gratis rüber)... von Fahrrädern ist nicht die Rede, ich kann weiterfahren.

Kommen Sie getrost herein! Sollen wohl empfangen sein!, spricht die katholische Kapelle am Ausgang von Walsburg. Na gut, das Haus sieht zwar von außen ganz normal aus und nicht nach Kapelle, aber gut...
Eigentlich ist das protestantisches Gebiet, aber in den Wirren von 1946 hat Walsburg 1500 katholische Flüchtlinge aufgenommen und ihnen eine Scheune zur Verfügung gestellt, aus der sie ihr gut getarntes Gotteshaus zusammenzimmerten. (Die evangelische Kirche, eine Privatwohnung und das Schloss waren ja keine Dauerlösung.) Inzwischen hat sich die Scheunenkapelle in ein privates Wohnhaus verwandelt, und der geöffnete Raum sieht aus wie eine gemütliche Mischung aus Kirche und Wohnzimmer.
Nun, der Eigentümer muss sicher keine Angst vor Vandalen haben. Wer immer auf dem Saaleradweg vorbeikommt, ist viel zu erschöpft, um irgendwas zu verwüsten.

Vor allem, wenn er aus der anderen Richtung kommt. Alles bisher war nur zum Warmwerden, ab Walsburg wird es ernst. Den Berg rauf, den Berg runter, zur Mühlenfähre und am anderen Ufer gleich wieder rauf... Ich hatte schon beim Warmwerden große Teile meines Frühstücks verdampft und musste erneut ein- oder zweimal schieben. Es gibt sogar einen extra Shuttlebus, mit dem man die Passage überspringen kann. Wobei ich sagen würde: Wer auf den angewiesen ist, hat sich generell den falschen Radfernweg ausgesucht.
Unvermeidlich dagegen ist die Fähre: Die pendelt mittendrin und doch so abgelegen zwischen den Ufern hin und her. Obwohl es nicht danach aussieht, nimmt das Boot sogar Autos mit (nur keine Wohnmobile). Kein Wunder, die Verbindung ist doch ziemlich essentiell. Stellt man fest, dass das Schiff nicht fährt, muss man alles wieder hochfahren und einen gewaltigen Umweg machen.
Irgendwann muss es hier mal eine Brücke gegeben haben, ihre Überreste ragen aus dem Grün. Böse Zungen in Onlinebewertungen verbreiten die Verschwörungstheorie, die Fähre würde so oft ausfallen, damit Brücken-Lobbyisten mit der daraus resultierenden Unzufriedenheit ihre Agenda (den Bau einer neuen Mühlenbrücke) vorantreiben können. Big Bridge is watching you!

Aber bei mir fuhr sie genau zu den angegebenen Zeiten ab um neun. Der Fährmann plauderte gerade mit einem Kumpel, erklärte sich nach kurzer Wartezeit jedoch bereit, gegen 1,5 Euro die Debatte zu unterbrechen und abzulegen.
Die Saale ist wieder deutlich dicker geworden, wurde auch Zeit! Ich befand mich auf

Stausee Nr. 4: Hohenwartetalsperre


Nun also wieder die nächste Serpentine rauf. Seit meinem neu entdeckten Weg nach Blankenstein gestern hatte ich immer mal wieder die Onlinekarten gecheckt, ob es nicht irgendwo Abkürzungen von all den Bergstraßen gibt, aber bisher lautete die Antwort: Nein, schwer zu glauben, aber es ist wirklich so kaffig hier, dass es nur diesen einen Weg gibt (es sei denn, du willst in die Sackgasse zum Campingplatz).
Doch hier lautete die Antwort auf einmal: Ja, klar. Mitten in der Sepentinenkurve zweigte ein hübscher Waldweg ab, vorbei an der (nicht sonderlich reptiloiden) Drachenschwanzhütte. Es war recht holprig, aber das war mir im Moment ziemlich wurscht. Wieso bitte führt der Saaleradweg nicht hier lang, das ist doch viel schöner? Bin ich etwa der erste, der diese Strecke entdeckt hat?

Die Hohenwartetalsperre ist eine von den großen. Die zweitgrößte Talsperre der Saale und viertgrößte Deutschlands lässt die Flussschleifen dermaßen anschwellen, dass der Wald auf dem Berggrat zu einer schmalen Spitze voller Bäume zusammenschrumpft. Muss bestimmt auch cool sein, da bis ans Ende zu wandern. Moment, steht da jemand, oder ist das nur ein komisch geformter Baum?

Höchst zufrieden mit meiner Abkürzung kam ich in Reitzengeschwenda raus. Dass ich wieder auf der Straße weitermusste, störte mich nicht wirklich. Erstens, weil besagte Straße gleich ordentlich bergab gehen würde. Und zweitens, weil zuerst die Mittagspause anstand!

Wieder einmal war es ein langer, langer Abstieg, bis ich wieder am Wasser ankam. Und selbst dort lag die Straße noch immer eine Etage über dem See. Inzwischen war die Sonne herausgekommen, und die Luft fühlte sich wieder sommerlich an. Na endlich! Ich wollte die Seen eigentlich noch besser kennenlernen, bevor sie zu Ende sind. Die ausgewiesenen Badestellen am Bleilochstausee hatte ich alle verpasst, aber das hier könnte auch gut werden. Vorsichtig kletterte ich das Ufer hinab, die letzte Etage zum See hinunter.
Und fand eine der schönsten Badestellen in Deutschland.

Völlig ungestört konnte ich mich umziehen und ins Wasser springen.
Aaah! Nichts ist besser als der Kälte-Boost, der nach dem Fahren in der Hitze den ganzen Körper wieder auflädt, als würde ein Eisblitz hindurchfahren. Nichts geht über den Kälte-Boost? Doch, und zwar, wenn dieser Boost in vollkommen klarem Wasser stattfindet, das wie ein skandinavischer Fjord aussieht und das ich mit niemandem teilen muss außer einen einzelnen Segelschiff, das vorbeigleitet! Ich liebe es.

Die Hohenwarte-Talsperre ist etwas jünger, von 1942, und kümmert sich vor allem darum, dass unten auf der Saale und Elbe immer genug Wasser für die Schiffe ist (quasi das Gleiche wie die Edertalsperre für die Weser). Es fahren auch Schiffe auf dem Stausee selbst, aber bloß Touristenausflüge.

Die Straße folgt dem See, bis ihm die Hohenwarte-Staumauer ein Ende setzt, groß, graubraun und würdevoll, ähnlich wie die Mauer am Edersee.
Hinter jedem Riesenstausee muss immer noch ein kleiner als Ausgleichsbecken kommen. Bisher war das kein Ding, die Seen der Saalekaskade haben diese Aufgabe füreinander übernommen. Aber nun, wo die Berge bald vorbei sind, heißt es aufpassen, dass das Ganze auch ordnungsgemäß mit einem kleineren See endet, nämlich...

Stausee Nr. 5: Talsperre Eichicht

Zu diesem See gehört ein Pumpspeicherwerk - ich habe noch nie eins mit acht fetten Röhren auf einmal gesehen.

Und es ist der einzige Saalestausee, an dem man komplett ebenerdig vorbeifahren kann - ohne den geringsten Anstieg, und sogar mit Radweg und Felswänden.
Noch bis ins 20. Jahrhundert fuhren die Menschen hier mit Flößen (nein, nicht mit Flöten, liebe Autokorrektur) herum, das war einfach die praktischste Fortbewegungsart.

Über die langweilig-weißgrau angemalte Staumauer von Eichicht habe ich wieder das Ufer gewechselt. Dahinter sieht die Saale erstmal noch so breit aus, als käme gleich der nächste Stausee. Kommt er aber nicht - die Saalekaskade ist zu Ende.

Das Thüringer Schiefergebirge aber noch nicht ganz. Da ich nicht die Hauptstraße nehmen wollte, musste ich noch einen ziemlichen Auf-und-ab-Umweg über die Felder an den Flanken des Gebirges drehen. Eine Holzhütte mit gelbem Dach informiert über die Bienen.

Und ein Stück weiter verkauft ein Automat auch Bienenprodukte an Radfahrer. Es waren aber bloß noch Fächer mit Kräuterlimonade und Mineralwasser übrig. Wie lieb von den Bienen, dass sie in mühsamer Kleinstarbeit all die Mineralien für mein Sprudelwasser gesammelt haben!

Vermutlich haben sie dabei auch ein paar Steine befruchtet und so den Fortbestand der Berge gesichert. Denn sie bestehen definitiv fort! An der Straße zeigt das Gebirge noch einmal so richtig seine schartige Flanke.

Auch das Flussufer bekommt ein Stückchen davon ab. Rauschendes Wasser passt einfach besser dazu als rauschender Verkehr.

Dann erreichte ich mein Ziel: Saalfeld an der Saale ist die erste klassische Saalestadt und grenzt gleichzeitig ans Schiefergebirge, damit markiert es den Übergang zwischen zwei ganz unterschiedlichen Abschnitten des Flusses.
Als Wahrzeichen der Stadt steht am Ufer die Burgruine Hoher Schwarm, in der es wie in einem Bienenstock zuging, als hier quasi als Bienenkönigin die Herzöge von Sachsen oder die Kurfürsten von Meißen wohnten - mit der Unabhängigkeit von Adligen hatte es diese Stadt eher nicht so.

Woran erkennt man eine klassische Saalestadt? An den schönen Renaissance-Gebäuden und einer Vorliebe für verschiedene Töne von Gelb und Beige.
Der Marktplatz ist relativ leer.

Saalfeld ist besonders stolz auf seine vier Stadttore, in die es alle eine kleine Ausstellung reingesteckt hat.

Aber mich interessierte etwas anderes, auch wenn ich dafür nochmal weit raus an den Stadtrand fahren musste. Nachdem ich über das Schiefergebirge drübergefahren war, wollte ich jetzt auch noch unten rein!
Am Waldrand von Saalfeld erstreckt sich ein komplexer Komplex, ein künstliches Fachwerkdörfchen, fast schon wie ein kleiner Freizeitpark. Kinder kraxeln hier durch die Feenwelt, einen Abenteuerspielplatz zwischen den Bäumen. Eine überraschend gute Pommesbude lockt Menschen mit dem Duft der Bratwurst an.

Im zentralen Fachwerkhaus befindet sich ein kleines Museum. Es folgt dem Grundsatz: Zeige bloß nie eine normale Wand, künstliche Felsen überall! Touchscreens erzählen etwas über die Mineralien, die in den Glaskästen stehen. Wie sie abgebaut wurden, erklären Modelle und ein lebensgroßer, laut rumpelnder Flaschenzug, an dem permanent irgendein Kind dreht. Nett gemacht, aber dafür wäre ich keinen so großen Umweg gefahren. Das Museum war nur automatisch inkludiert in der Führung, die nun kommt.

Also rasch ein Ticket kaufen und zwei bis drei zusätzliche Schichten überziehen, denn gleich könnte es kühler werden.
Zu Stoßzeiten (z.B. als ich gerade ankam) wird alle halbe Stunde eine Gruppe durch dieses touristische Highlight gelightet. Und abgelichtet. Als erstes durften wir zum Schutz und zur intensiveren Thematisierung braune Bergwerksumhänge anziehen (die Zipfelmützen haben sie bei uns vergessen). Mit denen knipste die größte Kamera Thüringens (eine 1 Meter hohe Holzkamera, in der ein Mensch mit normaler Kamera drinsaß) ein Gruppenfoto, das wir nachher am Ausgang doch bitte käuflich erwerben sollten. Was klingt wie ein ziemlich dämliches Touristenspektakel, machte mit den Kommentaren des launigen Bergwerksführers tatsächlich Laune.

Und dann ließ er uns durch eine unauffällige Tür in die Saalfelder Feengrotten eintreten. Mir war diese Höhle schon vor langer Zeit empfohlen worden, aber mir war gar nicht klar, dass das eigentlich ein Bergwerk statt einer natürlichen Höhle ist. Oder besser gesagt, eine Mischung aus beidem, wie in der Iberger Tropfsteinhöhle im Harz.
Und so war auch die Führung ein Kompromiss aus beiden: Erstes Untergeschoss zum Thema Bergbau, zweites Untergeschoss zum Thema Geologie.
"Wir fahren jetzt in den Berg ein. Aber wenn Bergleute fahren sagen, dann meinen sie nur, dass sie irgendwie in den Berg reinkommen, auch wenn sie zu Fuß laufen."
"Aber in Merkers...", plapperte ein Junge drauflos.
"Ja, ich weiß, in Merkers fährt man wirklich.", seufzte der Bergführer. Das Bergwerk an der Werra bringt die Konkurrenz an der Saale ordentlich ins Schwitzen.
Ansonsten bringt einen dort nichts so schnell ins Schwitzen, auch keine endlosen Gänge und tiefen, feuchten Stahltreppen. Wenn doch Tropfen übers Gesicht rinnen, dann haben sie ihren Ursprung an der Decke. Die verschlungenen Gänge führen meist zu ihrem Ursprung zurück, sodass sich die Gruppen bei einer halben Stunde Abstand gut koordinieren müssen, damit sie einander nicht auf den Füßen herumstehen.

Dieses Bergwerk ist wirklich ganz anders als Merkers. Als hier Bergleute arbeiteten, waren Dynamit und Förderbänder noch Science Fiction in einer unendlich weit entfernten Zukunft. Im Geologie-Stockwerk zeigen Figuren, was für ein ärmliches Bergwerk das eigentlich war. Unser Bergführer holte die Werkzeuge von damals aus einer Truhe. Mit einem Tempo von ein paar Millimetern pro Tag klopften die Männer mit den Dingern Alaunsalz aus dem Berg. Von all den Rohstoffen in diesen Bergen war das das einzige, was wirklich rentabel war. (Der Goldrausch im Thüringer Schiefergebirge erwies sich als Flop). Und auch das musste man draußen noch wochenlang kompliziert zerfallen lassen, begießen und abbrennen, bis sich irgendwann kleine Salzkristalle raustrauten, mit denen die Gerber dann Leder bearbeiten konnten. (Auch Mediziner benutzten sie gern gegen alles, was auf der Haut eklig aussieht- und tatsächlich wirkt das Zeug desinfizierend. Die Menschen hielten es sogar für ein Verhütungsmittel, dass man einfach in einem Säckchen dabeihaben muss - diesen Trick hat uns die Bravo glatt verschwiegen.)
Die Arbeitsbedingungen waren wortwörtlich grottig, besonders mies war das Licht. Die Bergmänner hatten nur einen Kienspan, ein Holzstück, das am Ende ein bisschen vor sich hinkokelte und dabei weniger Licht produzierte als ein depressives Glühwürmchen oder eine rote LED, die anzeigt, dass das Handy noch 1 Prozent Akku hat. Wer keinen Sohn als sogenannten Armleuchter hatte, der musste das Holz in den Mund nehmen. Damit die Zähne nach stundenlanger Arbeit nicht so wehtaten, schlugen sich einige Bergleute lieber gleich zwei Schneidezähne raus, um einen praktischen Steckplatz im Gesicht zu schaffen. Das war der Moment, wo die vielen Kinder der Führung sehr verstört guckten. Und die Erwachsenen auch.

Also lieber eine Etage tiefer, wo es schöner wird. Viel schöner. Als die Bergleute die ganzen aufgeschlagenen Mineralien liegen ließen, strömte Sauerstoff rein und produzierte Schiefersäure, die Eisen und Phosphate rauszog und zu Didacholit mixte. Ein erstaunliches Zeug.
Die Mineralien so auszulaugen, hat eine irre Nebenwirkung: Es beschleunigt Tropfsteine!
Die Dinger, die sonst ein Jahrhundert für einen Zentimeter brauchen, wachsen in Saalfeld dreihundertmal so schnell. In rasendem Tempo (also aus geologischer Sicht) sind bunte Stalaktiten und Stalagmiten hervorgeschossen. Sie wachsen rund um mehrere braune Teiche mit arsenhaltigem Wasser, das man nicht trinken sollte. (Am Ende kommt aber noch eine Heilwasserquelle, von der man probieren darf und die gut gegen Karies und für Harndrang ist.)
Die erste Wassergrotte hat viel Wasser, aber noch nicht so viele Tropfsteine.
Die zweite Wassergrotte hat die längsten, die ganze Decke hängt voller orangebrauner Spitzen.

Der wahre Rekordhalter ist aber die dritte, denn sie hat die buntesten. 48 verschiedene Farbtöne wurden hier gezählt, und damit sind die Feengrotten im Guiness-Buch der Rekorde die bunteste Höhle auf diesem Planeten.

Eine Etage tiefer liegt die vierte Grotte namens Märchendom, wo die Tropfsteine dicke zusammengewachsene Formationen bilden. Dort laufen zwei Märchenprogramme: Einmal Lichteffekte mit Herr-der-Ringe-Musik und einmal eine Sage über eine holografische Fee, die im Gestein herumflattert. Der Lautsprecherstimme zufolge haben die Bergleute sie gesucht, weil sie Wünsche erfüllen kann. Am Ende hat sich die Fee aber gar nicht irgendwelche Wünsche angehört, sondern ohne zu fragen schöne Tropfsteine hinterlassen, womit die Bergleute komischerweise zufrieden waren - von einer Gewerkschaft und besserem Arbeitsrecht hätten sie wahrscheinlich mehr gehabt. Vermutlich sind die Feen aber einfach in den Namen der Grotte geflattert, als ein paar Bergmänner einen über den Durst getrunken haben - bekanntlich eine verbreitete Alternative zu einer Gewerkschaft.

Aber nicht alle Tropfsteine sind bezaubernd. Einige sind auch eklig. Die blaugrauen Sulfate, die beim Abbau entstanden sind, machten komische Sachen mit den Mineralien. In einer Ecke wachsen Wackeltropfsteine. Flüchtig betrachtet sehen sie ganz normal aus, aber wenn man dagegenpustet, biegen sie sich im Wind, denn sie bestehen vollständig aus Glibber. Oder Trollschnodder, wie der Bergführer behauptete.

Nun, ein paar Stündchen Tageslicht hatte ich noch, also düste ich noch eine Stadt weiter. Verglichen mit der Saalekaskade ging diese schnurgerade Strecke geradezu lächerlich schnell, als wäre ich nur innerhalb derselben Stadt gefahren.
Seit dem Ende der Saalekaskade fahren auch wieder Züge durchs Saaletal, und zwar gar nicht so wenige.

Am Flussufer ziehen sich rostige Röhren entlang. Sie laufen auf ihren Pfosten mitten durch eine Schrebergartenanlage und fügen sich nur selten ins Gestaltungskonzept der jeweiligen Gärtner ein.

In Rudolstadt konnte ich auf einem schnurgeraden Damm zwischen Straße und Schienen durchzischen, aber ich wollte dann doch einen Blick auf die Stadt werfen.
Egal, wo man in Rudolstadt steht, immer bildet das abartig lange Schloss Heidecksburg auf dem Berg den Hintergrund.

Rudolstadt hat gehört, was ich über den leeren Marktplatz in Saalfeld gesagt habe, und seinen gefüllt. Mit parkenden Autos.

In diesem Haus lebte eine gewisse Dame namens Frau von Lengefeld mit ihren Töchtern Caroline und Charlotte. Die Dame empfing gern berühmte Besucher zum Diskutieren wie Wilhelm von Humboldt, Goethes Crush Charlotte Kestner oder einen gewissen Friedrich Schiller. Der traf in diesem Haus zum allerersten Mal Goethe, aber die beiden freundeten sich damals noch nicht an, weil Schiller viel zu abgelenkt von Frau Lengenfelds Töchtern war. Nach längerem Flirten und Überlegen entschied er sich schließlich für Charlotte. Wie sich das auf die geschwisterliche Bindung der beiden Schwestern ausgewirkt hat, bleibt unklar.

Für die nächste Nacht habe ich einen herrlichen Rastplatz direkt am Flussufer gefunden, naturnah, aber nicht so restlos zugewachsen wie der letzte Wald. Es gab mehr als genug Platz, um dem Paar am Ufer seine Privatsphäre für ein ernstes Gespräch zu lassen, und am Ufer war sogar ein großes Floß mit Bänken vertäut, sodass ich auf der Saale gefrühstückt habe.
Alles schön und gut, aber gibt es auch Glühwürmchen? Klar doch! Auch meine zweite Nacht wurde zuverlässig neongrün beleuchtet. Sie leben also nicht nur im Schiefergebirge. Was mag es nur sein, weshalb die Saale diese Tierchen so besonders anzieht?

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