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11 November 2023

Harz: Von Netzkater in den Rabensteiner Stollen

Harz XIIIa: Der unterirdische Süden


"Boah, was will der Typ denn jetzt schon wieder im Harz?", denken Sie vielleicht. Dieses Gebirge lässt mich nicht los. Heute steige ich in Netzkater aus. Das ist kein deutscher Katzenvideo-Star, sondern ein Bahnhof bei Ilfeld. Mit dabei ist meine Familie, welche die Liebe zum Harz teilt. Die Schmalspurbahn hält direkt am heutigen Ziel: Einer unterirdischen Fahrraddraisine. Oder? So ähnlich hatte man es uns jedenfalls erzählt.
Im Bahnhof befindet sich ein Wirtshaus im originalen DDR-Look (nur ohne die entsprechenden Wartezeiten).

Zur Jäger-Dekoration gehört auch das Gemälde E-Zigarette rauchender Hirsch (so unsere Mutter).

Gleich neben dem schmalen Gleis der Schmalspurbahn laufen noch schmalere Gleise kreuz und quer durch die Gegend, Schuppen und Loren stehen rum. Das gehört alles zum Rabensteiner Stollen, einem kleineren, aber beliebten Harz-Bergwerk. Man bucht die Führungen online, aber das Museum ist eher chillig organisiert, legt bei hohem Andrang spontan Extraführungen ein und verschiebt die angemeldeten Gäste auf Wunsch auch spontan in solch eine frühere Führung.
Und die beginnt mit einer skurrilen Bahnfahrt. Wir alle mussten uns rittlings auf eine Holzbank setzen und ducken. Die engen Wagen bilden eine Art Dreieck aus gelben Stangen, und trotz Helm darf niemand Kopf oder Arme über diese Stangen hinausstrecken. In dieser nur leicht entwürdigenden Pose tuckerten wir durch einen ausladenden Bogen im Außengelände...

...und verschwanden dann in einem unauffälligen Tunneleingang.

Das ist dann auch der Moment, ab dem die Regel der gelben Stangen komplett Sinn ergibt, denn der Tunnel ist eng. Und außerdem super. Wir zuckelten immer wieder durch beleuchtete Räume und kleine Bergbau-Szenerien, dann rasselten wir wieder durch weitgehende Dunkelheit. Und noch ein Raum, noch eine Verzweigung... die Fahrt dauert richtig lange, gefühlt viel länger als die kurze Grubenbahn in Goslar (bei der man außerdem nix sieht).


Schließlich mussten wir dann aber doch noch ein paar Schritte zu Fuß zurücklegen. Aber nicht viele, dann holte unser Führer die nächste Attraktion aus der Ecke: Das Schienenfahrrad. Dieses weiße Metallgefährt wiegt etwa 30 Kilo und hat zwei Sattel, aber nur ein Paar Pedale.

Der Vordermann lässt sich bequem fahren und stellt seine Füße solange in eine eckige Metallwanne.
Aber dann die ernüchternde Botschaft: Niemand, der größer ist als unser älterer Bergwerksführer, darf fahren, die Decke ist einfach zu niedrig. (Dabei wurden die Gänge beim Umbau in ein Besucherbergwerk schon deutlich vergrößert.) Er hatte die wenigen geeigneten Kandidaten bereits per Augenmaß herausgesiebt. Und nachdem ich sogar ohne Rad die halbe Strecke gebückt gehen musste und meinem Helm trotzdem ein paar neue Schrammen beschert hatte, war ich wohl kaum in der Position zu widersprechen.
Was hat das Schienenfahrrad mit einem untergehenden Schiff zu tun? Frauen und Kinder sind klar im Vorteil!
So bleibt mir also nur, widerzugeben, was mein kleiner Bruder über die Fahrt gesagt hat. Er ließ sich auf dem Vordersitz herumkutschieren und fand die Fußwanne nicht sonderlich bequem, erkannte aber: Hätte er irgendein Körperteil ausgestreckt, wäre es direkt an einer Felswand entlanggeschrammt. Trotzdem schien es sich um eine witzige Fahrt zu handeln, und allzu anstrengend wirkte es auch nicht, das vergleichsweise schwere Fahrrad in Ganz zu setzen.

Nach wenigen Metern gerieten die Radfahrer aus dem Blickfeld, kehrten aber kurz darauf schon wieder zurück - nun fuhr das Schienenfahrzeug auf einmal fuhr in die entgegengesetzte Richtung. Wie das? Der Gang gabelt sich, und die Schienen bilden eine Wendeschleife, welche die Radler ganz automatisch auf den korrekten Rückweg schickt.
Um das Rad dann erneut für das nächste Paar zu wenden, legte unser Bergwerksführer einfach fix ein rostiges Metallteil auf die Gleise, auf dem er das Fahrrad in einer Sekunde umdrehen konnte.

Alle, die den Dialekt des Bergwerkführers entschlüsseln konnten, lernten, was denn nun eigentlich aus dem Rabensteiner Stollen kam: Kohle. Aber nicht für den großen Markt, sondern ganz ohne Gewinnstreben, nur damit die Bewohner vor Ort ihre Häuser im Winter knapp über dem Gefrierpunkt halten konnten. Die Arbeitsbedingungen waren dadurch aber auch nicht besser, im Gegenteil, man wurde nicht mal bezahlt für die 12-Stunden-Schichten.
In den Stollen war praktisch nur Kriechen angesagt, was man heute aber nur bei Sonderführungen macht. Es ist schon tückisch genug, eine große gebückte Gruppe durch die vergrößerten Gänge zu lotsen und ihnen zu sagen, wo sie sich hinstellen sollen, damit jeder etwas hört und sieht.

Die Bergleute klopften mit Schlägel und Eisen, diese Dinger, die man auch in Zeiten von Dynamit noch auf allen Bergwerks-Logos sieht - unzeitgemäß, aber als Symbol weiterlebend (wie das Telefonhörersymbol, wenn man mit einem Smartphone anruft).
Ihre Jungen mussten die Kohle in Säcken rausschleifen. Immerhin waren die Harzer nicht ganz so arm dran wie die Kollegen in den Saalfelder Feengrotten, denn sie hatten richtige Kerzen. Also halbwegs vernünftiges Licht. Oder?

Naja. Um mal zu sehen, wie vernünftig dieses Licht wirklich ist, wurden wir alle einen langen, steilen Gang runtergeschickt. Und alle elektrischen Lampen waren auf ein dezentes Glühen runtergedimmt, das angeblich dem Licht einer damaligen Kerze entsprach.
Heißt: Ich konnte in dem orangen Dimmerlicht erkennen, dass der Felsgang irgendwo da vorne im großen und ganzen ungefähr geradeaus weiterging. Meistens. Das war's.
Bonkrz.
Bonkrz.
Bonkrz.
Trotz ständigen Bückens trug mein Helm einen Kratzer nach dem anderen davon. Von oben war ich wenigstens geschützt. Aber was, wenn die Felswand plötzlich so einen großen Vorsprung bildet wie vorhin und der mich in der Finsternis volle Kanne in die Seite trifft? Misstrauisch tastete ich nach den Wänden und senkte dadurch mein Tempo auf das eines kränklichen Jungen im Mittelalter, der einen Sack Kohle nach dem anderen ans Tageslicht schleppen muss.


Erst später kam der Strom in den Rabensteiner Stollen, und für ganz kurze Zeit wurde die Kohle doch noch richtig unternehmerisch für den Markt rausgeholt. Alle Geräte funktionieren per Druckluft über Mini-Generatoren, sogar in jeder einzelnen elektrischen Lampe steckt bis heute einer. Und auch in dieser Bohrmaschine, von der sich Freiwillige einmal durchschütteln lassen durften.


Zu dieser Zeit tauchten dann auch kleine Gleise und Loren auf. (Die heutige Grubenbahn wurde so aber erst 2009 für die Touristen eingebaut.) Falls sich so eine tonnenschwere Lore löste und den Gang runterschoss, wurde sie von einem Metallzapfen in den Gleisen automatisch gestoppt. Früher ein Lebensretter, heute eine drohende Stolperfalle beim Wiederaufstieg zur kleinen, unauffälligen Gittertür ans Tageslicht.

Eine Sache änderte sich auch in der neuen Zeit nicht: Das traditionelle Bergmannsklo, dessen Benutzung hier authentisch nachgebildet wird.
Die Zipfelmütze ist mit Stroh ausgestopft und war damals der leisere Vorläufer zum ständig Bonkrz machenden Plastikhelm.

Wie kann ich dieses Bergwerk also abschließend beurteilen? Das kommt darauf an, was man hier sucht.
Als Grubenbahnfahrt: Das Nonplusultra, wesentlich besser als in Goslar.
Als Bergwerksführung: Nett, kommt aber nicht an Goslar oder Merkers heran.
Als Radtour: Allenfalls für kleine Menschen zu empfehlen.

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