Die Kanten-Kanal-Mauer
Länge: 63 km
Grenzquerungen: 30
Bundesländer: Berlin, Brandenburg
Seite: meistens genau auf der Grenze oder Ost, etwas seltener West
Erkenntnis: Wer in Berlin historische, ungenutzte Verkehrswege sehen will, der bezahlt mit Blut.
Im Jahre 1990 sah der DDR-kritische Liedermacher Kalle Winkler diesen Grenzturm und dachte sich: Gefällt mir, den besetz ich. Er kaufte ihn für eine Mark einem Grenzsoldaten ab und richtete ein Museum der Verbotenen Kunst (also unter anderem seine eigene) ein. Es ist der einzige Grenzturm, der kulturell genutzt wird.
Endlich! Erleichtert entwich der Atem meiner angespannten Brust. Der Schlesische Busch - ein Park mit Radweg! Kein Innenstadtchaos mehr, sondern einfach nur geradeaus am Landwehrkanal entlang!
Oder auch doch: Gleich neben dem Bauzaun gibt's einen Trampelpfad, ich kann also doch ganz nah am Kanal radeln.
Am anderen Ufer liegt der Görlitzer Park, bekannt für seine... äh, für seine fehlkonstruierten Wasserspiele natürlich, genau dafür.
Zur Abwechslung befindet sich hier mal kein Friedhof an der Mauer. Die rechten Militärs im Jahre 1919 kapierten das offenbar nicht, denn sie warfen die Leichen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Landwehrkanal. Vorher hatten sie die beiden Kommunisten in ihrem Hotel aufgespürt und ermordet. Wobei das für sie kein Mord war, sondern eine ganz legitime Hinrichtung. Nur halt ohne Gerichtsverfahren. Und Gericht. Und Gesetzesgrundlage.
Auf dieser Kanalkreuzung befindet sich ein Dreiländereck, behaupten die Berliner - naja, zumindest ein Drei-Stadtteile-Eck aus Neukölln, Treptow und Kreuzberg. Um 1900 stand hier alles voller Lohmühlen, und auf dem Wasser trafen die selbstständigen Ortschaften Treptow, Rixdorf und Berlin aufeinander. Schon damals guckte die Berliner Regierung hungrig auf die schönen Parks und die Steuereinnahmen der Betriebe, sodass bald verhandelt wurde, ob und wie Berlin denn seine Nachbarn verschlucken könnte. Für die normalen Bürger waren diese Grenzen damals völlig latte, sie kauften ein und arbeiteten, wo es gerade passte.
Im Jahr 1988 gab es hier den letzten Gebietstausch der beiden Deutschlands: Die DDR verscherbelte den Lohmühlen-Zwickel, auf dem sie eh nur Ruinen hatte, damit die Westberliner endlich drei Straßen per Kreuzung verknüpfen konnten.
Eine Skulptur erinnert an die Treptower Toten. Da wurde eine kindliche Figur reingestanzt, denn es starben auch mehrere Kinder. Zwei davon wollten tatsächlich über die Grenze, vermutlich, um ihren Vater zu besuchen. Ein anderer Junge interessierte sich bloß für die Maschinenpistole des Soldaten. Als der dem Kind seine ungesicherte Waffe zeigte, löste sich ein Schuss. Diese Blödheit ging sogar seinen Vorgesetzten zu weit, und der Soldat wurde ganz offiziell für den Tod verantwortlich gemacht. Ausnahmsweise. Alle anderen Todesfälle wurden als Verkehrsunfälle, Stromschläge oder Selbstmorde vertuscht.
Im Treptower Park verabschiedete sich Helmut Kohl von Boris Jelzin, der die letzten russischen Soldaten mitnahm, hoffentlich für immer.
Deswegen entstanden hier keine Warteschlangen, und die Sonnenallee blieb ein unbekannter Underdog unter den Grenzübergängen. Zumindest, bis nach der Wende ein Film über ihn gedreht wurde.
Vor Ort erinnern nur ein Streifen Kopfsteinpflaster und eine gläserne Texttafel an den Übergang.
Der Teltowkanal verbindet zwei Seen und kürzt damit die Fahrt von der Oder in die Elbe ab. Ihm folgen ein extrabreiter Radweg und eine Autobahn. Im Grunde ist der Radweg auch eine Art Fahrradautobahn, nur ohne jede Markierungen. Die Autobahn hat die Natur im Grünstreifen arg zusammenschrumpfen lassen. Sie wurde hier hingebaut, weil die Mauergrundstücke am leichtesten aufzukaufen waren. In Berlin gibts an der Grenze halt kein Grünes Band, jedenfalls kein durchgehendes.
Der Berliner Mauerweg ist eigentlich auch ein Wanderweg. Am Britzer Zweigkanal liegt die einzige Stelle, wo sich Fußgänger und Radler kurz trennen: Der Wanderweg nimmt die Treppe nach unten.
1971 kamen zwei Westberliner auf die grandiose Idee, dass sie in der DDR vielleicht ein besseres Leben erwartet. Sie schwammen quasi gegen den Strom durch den Kanal. Die Grenzsoldaten achteten nicht so genau auf die Richtung und hielten sie für Flüchtlinge. Kurz darauf hatte sich das mit dem besseren Leben erledigt, an jenem Tag hatte die DDR nur schlechteres Sterben im Angebot.
Ein anderes bemerkenswertes Opfer dieser Kanalgrenze ist Chris Gueffroy. Erstens, weil er ganz eindeutig noch vor der Mauer die Hände hob und trotzdem ermordet wurde. Zweitens, weil die DDR aus Versehen erlaubte, seine Todesanzeige mit dem Datum der Beerdigung zu drucken, woraufhin 120 Menschen kamen und die Beerdigung zur stummen Demonstration wurde. Drittens, weil Gueffroy wenige Monate später sicher über Ungarn und dann über die gefallene Mauer hätte fliehen können. Jedoch hätte er in den Monaten zur Armee eingezogen werden können, und gerade das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Viertens, weil er deswegen der letzte Tote der Berliner Mauer war. Und fünftens, weil ein Rechtsstreit darum tobte, ob die Namen der Soldaten veröffentlicht werden dürfen, die zu seiner Ermordung beitrugen. (Dürfen sie. Also: Gerd Fritz Mögel, Sven Hüber, Norbert Schulze.)
Nach kurzer Zeit zweigt der Britzer Zweigkanal ab, ich folge jetzt dem größeren Teltowkanal. Über der großen Kanalkreuzung kreuzt eine nicht minder große Autobahnkreuzung meinen Weg. Ein Grenzsoldat versuchte, an den Rohren unter der Brücke hinüberzuklettern, aber er stürzte ins eiskalte Wasser. Vermutet man zumindest. Seine Kollegen dachten zuerst, er hätte es geschafft, bis sie den Leichnam fanden.
Trotzdem eigentlich eine schöne Strecke. Ein paar mehr Bäume wären nett, damit die Sonne mein Hirn nicht so durchbrutzelt. Zumindest bei der Hinterlandmauer gibt es wieder etwas Schatten. In diesem Bereich wurde Johannes Sprenger erschossen. Neun Tage später wurde er zu Hause in die Gemeindevertretung gewählt, weil die Stasi seinen Tod immer noch unter Verschluss hielt. In der DDR regierte buchstäblich der Geist eines Ermordeten.
Auf der anderen Seite hatten die Amerikaner eine Radarstation gebaut. Aber was sie per Radar mitbekamen, reichte ihnen nicht. Sie buddelten einen Spionagetunnel, zapften die Telefonleitungen der sowjetischen Armee an und lauschten fasziniert 40 000 russischen Telefongesprächen, die sie jeden Tag sofort nach England und Amerika rausfliegen ließen. Was sie nicht wussten: Die Russen war völlig klar, dass jemand zuhörte, denn sie hatten einen Doppelagenten eingeschleust. Sie ließen sich aber noch ein wenig abhören, um ihren Mann gefahrlos rauszubringen. Heute gibts an der Stelle immer noch einen Tunnel, aber der ist ein kleines bisschen breiter und bietet Platz für eine Autobahn.
Ausnahmsweise wollte hier mal niemand unter der Erde fliehen, dafür hoch oben in der Luft: Das Ehepaar Wehage entführte ein Flugzeug. Der Mann hatte als Teenager schon die Flucht probiert, aber als er aus dem Gefängnis kam, arrangierte er sich mit der DDR. Vorerst. Bis er eine Frau kennenlernte und der Staat den beiden nicht erlaubte, am selben Ort zusammenzuleben und zu arbeiten.
Die beiden kamen nicht bis ins Cockpit, sondern bedrohten nur die Stewardess. Als sie merkten, dass ihr doch nicht so richtig entführtes Flugzeug trotzdem wieder den Osten ansteuerte, nahmen sie sich das Leben.
Der Flughafen Schönefeld war auch bei Westberlinern beliebt: Für die unschlagbar günstigen Preise nahmen sie auch die nervigen Kontrollen und einen kurzen Abstecher in die Unfreiheit in Kauf. Besonders, seit die Shuttlebusse ohne Stopp über die Grenze düsten, weil die Passkontrollen gleich ins Terminal verlegt wurden. Außerdem versuchte damals noch niemand, den Flughafen durch einen Neubau zu ersetzen, der sich um 10 Jahre verzögert, weil seine Rolltreppen zu kurz sind.
Damit wäre ich wieder an der Außengrenze nach Brandenburg angekommen. Und die sieht ganz anders aus als im Norden. Darf ich vorstellen: Die Stadtkante! Der Name trifft es auf den Kopf. Der Weg und eine Linie aus Büschen zeigen ganz klar, wo die Stadt anfängt und wo die nächste Streuobstwiese (oder die nächste Pferdekoppel zur Nahversorgung der Südberliner Pferdemädchen) beginnt. Einer der Hügel heißt Dörferblick.Naja, was man in Berlin halt so unter Dörferblick versteht - für mich sieht das alles noch relativ städtisch aus. An dieser Stelle wurde die Gropiusstadt im Bauhausstil hochgezogen, noch so ein Nachkriegs-Neubau-Gebirge, quasi das Gegenüber zum Märkischen Viertel im Norden.
Dieser kantige Teil der Grenze war besonders beliebt bei Fotografen, und auch heute findet hier noch ein Fotowettbewerb statt.
Ein Teil der Route gehört zur Trasse der Dresdner Bahn und zum Radfernweg Berlin-Leipzig. Mal wird der Radweg zum festen Pfad, mal verzieht er sich nochmal kurz auf eine Nebenstraße, mal verschiebt er sich als Baustellen-Umleitung um ein paar Meter zur Seite. Und manchmal geht er ins Innere des Buschstreifens, wo sich die Stadtkinder ihre eigenen Rückzugsorte vor Hektik und Hausaufgaben gebaut haben.
Ist aber alles egal, das ändert nichts daran, dass ich an der Stadtkante fast so fix vorangekommen bin wie vorher am Teltowkanal. Die richtige Richtung ist ja leicht zu finden. (Nur eine Stelle trieb mich mit einem bekloppten Kopfsteinpflaster-Umweg in die Stadt und leicht in den Wahnsinn. Auf einmal fragte mich ein Rentner, ob ich seine Blaue Tonne die Treppe runtertragen könnte - der Umweg diente also immerhin einem guten Zweck.)
Statt Beton begrenzt eine Bretterwand den Mauerstreifen, zumindest kurz. Die Berliner Stadtgüter haben hier das Mauerbienchen angelegt, einen wilden Garten mit folgenden Freizeitangeboten:
Im Totholz nisten (falls Sie eine Wildbiene sind), Blüten bestäuben (falls Sie eine Wildbiene sind), bestäubte Blüten in Form von Obst einsammeln und picknicken (falls Sie ein Mensch sind) und im Totholz überwintern (falls Sie eine Wildbiene sind - oder sehr hartgesotten).
Die südlichen Ostberliner flohen unter anderem, weil sie im Osten weniger gut verdienten, Streit mit ihren Vorgesetzten hatten, ihnen die Kündigung oder sogar Haft wegen "Arbeitsbummelei" drohte, weil sie als kinderloses Paar weder ein besseres Haus als eine Laube noch ein Auto oder Baumaterial bekamen oder auch, weil sie ganz privat bei einem Streit in der Kneipe gedemütigt den Kürzeren zogen. Besonderes Pech hatte Eberhard Schulz: Als der Soldat rief, er solle aufstehen, gehorchte Schulz. Damit hatte der Soldat nicht gerechnet, er erschrak und schoss sofort. Denn eigentlich hatte er mit Eberhards Gefährten gesprochen und Eberhard überhaupt nicht gesehen.
Herbert Kiebler dagegen hatte einfach nur Selbstmord begangen. Wenn man der Stasi glaubte. Seine Familie hatte einen Abschiedsbrief mit "Auf Wiedersehen im Knast oder in Westdeutschland" gefunden, weshalb es ihnen etwas schwerfiel, das zu glauben. Nachts brachen sie in die Kapelle und seinen Sarg ein und entdeckten die Schusswunden.
Am Kirchhainer Damm gab es einen Grenzübergang nur für die Müllabfuhr. Wo sollte das eingekreiste Westberlin seinen Abfall auch sonst loswerden, wenn nicht in der DDR? Wie ich bereits in Schönberg bei Lübeck gelernt habe, waren die Kommunisten beim Thema Müll überaus hilfsbereit, schließlich hatten sie viel Erfahrung damit, welchen zu verzapfen. Damit die Grenztruppen nicht mit Müllwagen zusammenstießen, grub man ihnen einen Tunnel unter der Bundesstraße durch (zur Abwechslung mal kein geheimer Fluchttunnel), den Radfahrer heute benutzen dürfen. Das rostige Grenzdenkmal hat die Besonderheit, dass es aus jeder Perspektive ein bisschen anders aussieht, weil die Mauer quasi wie ein Flyer gefaltet ist.
An der nächsten Straße sollte ein brandneuer Übergang entstehen und ein Naherholungsgebiet vernichten, was der Mauerfall gerade so verhinderte.
In diesem Viertel lebte der Bildhauer Kurt Isenstein und haute Büsten von berühmteren Künstlerkollegen wie Alfred Döblin und Käthe Kollwitz. Zumindest, bis die Nazis seine Büsten verbrannten und er schleunigst nach Dänemark verschwand.
Zwei Kilometer in der Stadt drin baute Westberlin das Notaufnahmelager Marienfelde für die vielen Neuankömmlinge. Richtig voll war es da in den 50ern, als die Flüchtlinge (darunter auch ein gewisser Dieter Hallervorden und eine gewisse Nina Hagen) einfach per S-Bahn oder mit leichtem Gepäck zu Fuß ankamen. Nach dem Mauerbau wurde es ruhiger, aber nicht völlig leer.
Als die Japaner von der Wiedervereinigung Deutschlands hörten, sammelten sie Spenden und stifteten Deutschland aus Freude 800 japanischen Kirchbäume, einfach mal so. Mittlerweile blühen hier 9000 der rosaweißen Bäume, die in Japan ein Nationalheiligtum sind und in Europa, naja, nicht direkt heilig, aber auch sehr beliebt, besonders auf Instagram. In Reih und Glied strahlen die weißen Puschel und nehmen einfach kein Ende. Die Kirschblütenstraße in der alten Hauptstadt Bonn ist trotzdem berühmter, denn sie ist einfach besser an die Innenstadt angebunden.
Auf dem nächsten Hügel befindet sich zu Abwechslung mal kein Naherholungsgebiet. Die amerikanischen Soldaten sollten sich hier gefälligst nicht erholen, sondern für den Ernstfall trainieren! Dafür bauten sie eine komplette Geisterstadt nach, sogar mit U-Bahn-Station und Kanalisation zum Kriechen. Klingt spannend, ob davon noch was übrig ist?
Nicht wirklich, nur eine Betonstraße. Der Rest des Parcs Range ist Privatgelände, sagt das Schild. Und wie auf jedem Privatgelände Berlins besteht die mit Abstand lukrativste Methode darin, es teuer zu bebauen und zu vermieten. Bis dahin müssen aber noch die Zauneidechsen umgesetzt werden. So oder so darf ich hier nicht drauf.
Am Rande des Parcs Range fuhr im Jahr 1880 die erste Straßenbahn der Welt mit sensationellen 20 km/h. Eigentlich konnte sie schon 40, aber sicher ist sicher.
Und damit wäre ich wieder am Teltowkanal angekommen. Wo heute der Radweg verläuft, mussten einst Pferde auf dem Treidelpfad Schiffe in die Stadt ziehen. Im Sinne des Fortschritts wurden sie von Dampf- und E-Loks abgelöst, welche die Schiffe etwas schneller zogen. (Schiffe mit eigenem Antrieb waren damals in Berlin offenbar noch Science Fiction.)
An diesem Kanal kam es in nebliger Nacht zu einem überaus peinlichen Todesfall, bei dem ein Grenzsoldat seinen Kollegen für einen Flüchtling hielt und schoss. Aus Gründen verzichtete das Regime ausnahmsweise darauf, das allzu öffentlich als Heldentod zu inszenieren...Peter Mädler dagegen wollte seine leiblichen Eltern im Westen kennenlernen. Der Elektriker hatte die Grenze bei der Arbeit vom Dach eines Gerätewerks gesehen und ging recht professionell vor, indem er den Streckmetallzaun mit einem Seitenschneider durchtrennte. Als er schon fast ans andere Ufer getaucht war, trafen ihn Kugeln.
Ganz genau, hier gibt's ausnahmsweise Streckmetall statt Mauern zu sehen. Die Brandenburger haben mit dem Material der Grenze noch weniger Berührungsängste als die Thüringer und basteln daraus hemmungslos Tore und kilometerlange Gartenzäune.
Die Stadtkante ist hier im Grunde zu Ende. Ich bin zwar immer noch an der Außengrenze Berlins, aber das sieht man nicht so, weil hinter der Grenzlinie direkt das brandenburgische Kleinmachnow kommt. Wobei ich auch davon nicht sonderlich viel sah, dafür war alles viel zu dunkelgrün.Nun, Kleinmachnow existiert wirklich, und was sich hier für ein Drama abspielte, kann locker mit der Serie mithalten.
Wieder einmal geht es um einen Tunnel. Er wurde von Fluchthelfern auf einem leeren Grundstück im Westen gegraben, um den Unzufriedenen im Osten entgegenzukommen. Nach langer Arbeit guckten die ersten Tunnelgräber endlich auf der Ostseite aus dem Boden - direkt in einen Pistolenlauf. Ihre Verbündeten aus dem Osten und ihre Kuriere saßen schon hinter Gittern. Woher wusste die Stasi nur so genau Bescheid? Ganz einfach, der freundliche Anführer des Tunnelprojekts (der sich nie selbst die Hände schmutzig gemacht hatte), war ein Verräter. Die ganze Idee war von vorneherein eine Stasi-Operation, um die bekanntesten Tunnelgräber einzusacken.
Damit alle, die noch im Tunnel waren, nicht schnell durch den Westeingang abhauten, wollte der Leutnant den Tunnel in die Luft zu jagen. Er hatte alles vorbereitet und nur eine Kleinigkeit vergessen - seinen Untergebenen den letzten Rest an Anstand auszutreiben. An dieser Stelle habe ich zwei unterschiedliche Versionen der Ereignisse gelesen. Entweder: Irgendein Grenzsoldat hatte das Kabel vorher durchgeschnitten, man weiß nicht, wer. Oder: Der Sprengmeister sah, dass ein komplett unbeteiligtes Paar in diesem Moment auf der Straße überm Tunnel stand, das nicht überlebt hätte. Deshalb missachtete er den Befehl.
Der Verräter bekam eine Belohnung, von der er sich eine Großwäscherei kaufte. Er zeigte nie Reue und wäscht noch heute in Berlin seine weiße Weste.
Zu sehen gibt es ein rosarotes Panzerdenkmal. Nun, vermutlich war es ursprünglich nicht rosa. Und eigentlich war es auch nicht dasselbe Denkmal, denn es zeigt heute, wenn man genau hinguckt, eine sowjetische Schneefräse.
In den letzten Kriegstagen starben nochmal besonders viele sowjetische Soldaten in der Schlacht um Berlin, und Denkmäler wie dieses sollten ein bisschen kompensieren, dass sie oft nur provisorisch oder in anonymen Massengräbern verscharrt werden konnten. Ursprünglich hatten die Sowjets das Panzerdenkmal sogar in Westberlin aufgestellt. Guckt mal, wie toll wir euch von den Nazis befreit haben... ey, wieso beschmiert ihr das denn? Wie, ihr fandet die Berlinblockade gar nicht so toll? Und dass wir die Demonstranten mit Panzern erschossen haben? Auch nicht? Ey, Amis, schützt das Ding gefälligst mit einem Drahtkäfig! Wieso stellt ihr denn jetzt ein Holzkreuz davor? Zum Gedenken an die Opfer des Volksaufstands? Pöh, dann stellen wir es jetzt bei uns auf und interpretieren es neu um, als Zeichen gegen die Imperialisten! Also euch!
An der Autobahn sind zumindest auf einer Seite keine Bäume, und die Mückenplage nimmt etwas ab.
Von allen Berliner Grenzübergängen ist hier am meisten übriggeblieben, nämlich eine Autobahnraststätte (deren Gebäude vielleicht zum Grenzübergang gehörten), viele rostige Texttafeln, ein Kontrollturm und... ach nee, das wars schon. Und das kleine Museum im Kontrollturm war auch schon geschlossen. Der Grenzübergang war bekannt für sein Gänsefleisch. ("Gänn se fleisch mal den Kofferraum aufmachen?"). Zu Beginn des Mauerbaus machten die Grenzer aber noch nicht alles auf: Einen Westberliner schmuggelte seine Verlobte erfolgreich in einem Koffer auf einem Motorroller zu sich nach Hause. Muss wohl eine sehr kleine Verlobte gewesen sein.
Nach all den grausigen und bürokratischen Geschichten nun etwas Netteres. Wer sich weiter durch den Mückenwald (Patsch!) quält, bekommt nämlich einen versteckten Einblick in die deutsche Verkehrsgeschichte. Denn hier verlief die Stammbahn, Deutschlands zweite und Preußens erste Eisenbahn. Sie fuhr schon 1835 vom Potsdamer Platz nach Potsdam (später dann weiter nach Magdeburg), und anders als in der Innenstadt ist hier draußen bestimmt noch etwas davon übrig. Oder? Nun ja. Was in der Karte als Trasse der ehemaligen Stammbahn eingetragen ist, dient heute als staubiger Mountainbike-Hügel. Muss eine holprige Fahrt gewesen sein damals.
Ein Stück weiter versuchte ich erneut, zur Stammbahn vorzustoßen. Diesmal erkannte ich einen richtigen Bahndamm, der am Rande eines hübschen Heidestreifens verlief. Zum Radfahren war der aber komplett ungeeignet. Vor dem Krieg fuhren die gehobenen Bürger auf dieser Strecke von ihrer Villa in die Innenstadt - in nur 13 Minuten. Und diese Möglichkeit sollen sie bald wiederbekommen, denn die Stammbahn soll wieder aufgebaut werden. Also vielleicht. Eine Bürgerinitative ist dafür, eine dagegen, mal gucken. Viel übrig ist von der Trasse leider nicht. Oder?
Nanu? Auf einmal ragte über mir eine über und über grafittibesprühte Brücke auf. Die Stammbahnbrücke ist trotz oder gerade wegen ihrer Malereien ein bunter Blickfang und ein beeindruckendes Bauwerk.
Weniger beeindruckend ist die Brücke über die Friedhofsbahn. Diese Bahnstrecke beförderte sowohl Lebende als auch Tote und hielt bis zum Mauerbau durch. Prominente wie Werner von Siemens, Walter Gropius, Walter Ullstrein oder Gustav Krug und zahlreiche britische Soldaten traten hier ihre letzte Bahnreise zum zweigrößten Friedhof Deutschlands an, in einem Sarg auf einem Spezialwagen.
Eventuell wird diese Bahntrasse auch irgendwann zum Leben erwachen, hoffentlich nicht als Zombie-Bahn.
Wenn Sie lieber auf Straßen als auf Schienen reisen, könnte Sie der Wald ebenfalls interessieren. Der Trampelpfad, auf dem ich geradelt bin, ist nämlich eine Autobahn. Ja, im Ernst. Also, er war jedenfalls mal eine. Glauben Sie nicht? Dann fahren Sie doch mal zur Brücke da vorne. Auf einmal verwandelt sich der feste Staub in Betonplatten. Zugegeben: Betonplatten, zwischen denen 10 Meter hohe Bäume stehen, was auf einer Autobahn allgemein eher als hinderlich angesehen wird.Vorsicht auf der A1 zwischen Potsdam und Berlin, in beide Richtungen: Es sind Nadelbäume auf der Fahrbahn gewachsen, 1 Kilometer Stau!
Trotzdem: Das hier war AVUS, die erste Autobahn Deutschlands.
Kurz nach der Brücke endet die Autobahn auch schon abrupt an einem Zaun. Immerhin hat der eine... nennen wir es mal Autobahnausfahrt.
Mit dem Mauerbau wurde die Autobahn verlegt, und zwar zum Checkpoint Bravo, den wir ja eben schon gesehen haben. Warum eigentlich, die Trasse hätte doch so oder so über die Grenze geführt? Weil die historische AVUS sogar zweimal die Mauer durchquert hätte. Am Ufer des Teltowkanals liegt nämlich Albrechts Teerofen. Der Name bedeutet genau das, wonach er klingt: Eine Familie namens Albrecht hatte hier einen Teerofen. Der machte zwar schon 1783 dicht, aber das Gebiet hieß immer noch so, als es über 150 Jahre später von der Mauer eingeschlossen wurde.
Durch einen hübschen Sandstreifen bin ich gleich weiter zur nächsten Enklave gesaust. Schaffe ich das noch durch den Wald, bevor es richtig duster wird? Ja, passt schon.
Kurz darauf entließen mich rote Drängelgitter in eine stillen Vorstadtstraße in Steinstücken raus.
Auch Steinstücken war komplett vom Antifaschistischen Schutzwall umgeben, jede Woche wechselte ein Hubschrauber die amerikanischen Soldaten aus. Durch den ersten Gebietstausch 1971 bekamen die beiden Enklaven einen Streifen mit einer Straße drauf, damit sie nicht mehr auf Hubschrauber oder die Kooperation mit den Grenzsoldaten angewiesen waren. 1981 durften nach langen Verhandlungen auch westliche Schiffe auf dem Kanal nach Westberlin fahren, dadurch brauchten die Kähne plötzlich zwei Tage weniger für die Strecke. Das Café in Steinstücken wurde ein beliebtes Ausflugsziel, um gemütlich Kuchen zu essen und eventuell ein paar illegale Fotos der Mauer zu machen - zum Beispiel von diesem Grenzsoldaten, der einen Hund füttert (auf dem Schild links im Bild).Ich fuhr nichts Böses ahnend im Dämmerlicht um die Ecke, als auf einmal ein schwarzes Vieh aus einem Gebüsch schoss. Ah, eine Katze, dachte mein Unterbewusstsein für den Bruchteil einer Sekunde. Dann zuckte ich zusammen, als die Katze plötzlich zu bellen anfing. Da kam auch schon die Besitzerin aus der Tür und entschuldigte sich vielmals, dass ihr Fellknäuel mich erschreckt hatte, das mache der wohl öfter.
Hunde, die sich als Katzen ausgeben, um die Flüchtlinge in Sicherheit zu wiegen - warum kamen die Grenzsoldaten eigentlich nicht auf die Idee?
Neben einem Spielplatz, inmitten der Vorstadthäuser, ragen auf einmal zwei Helikopter-Rotorblätter in die Höhe. Nanu, was hat das jetzt wieder zu bedeuten?
Das Denkmal erinnert an die Wiedervereinigung und ganz speziell an den 29.9.1990. An diesem Schnapszahl-Tag fanden zweifellos viele Hochzeiten statt, aber auch genau hier der letzte Hubschrauberflug des US-Militärs über ostdeutschem Luftraum.
Um diese Erklärung auf dem Sockel des Denkmals zu entziffern, musste ich schon die Handytaschenlampe einschalten. So, das reicht aber für heute, endgültig! In Berlin kenne ich genügend Leute, sodass ich mir keine Sorgen um die Übernachtung machen muss.
Auf dem Weg zur S-Bahn-Station durchquerte ich noch schnell einen Campus der Potsdamer Universität. Schön, wie viele Bäume hier überall wachsen! Also, wenn hier keine Forstwissenschaften unterrichtet werden, dann weiß ich auch nicht. (Nachtrag: Werden sie nicht. Jetzt weiß ich auch nicht.)
Das waren dann aber alle historischen Gebäude für heu... echt jetzt, sogar über den S-Bahnhof stehen mehr als zwei Spalten Text im Reiseführer? An dieser Stelle fuhren die Züge zur Zeit der Stammbahn noch ohne Halt durch. Später hatte Griebnitzsee einen schicken Fachwerk-Pavillon als Bahnhofsgebäude, der von der Wiener Weltausstellung übriggeblieben war. Dieser Bahnhof hieß Babelsberg-Ufastadt, weil hier in erster Linie alle ausstiegen, die in den Babelsberger Filmstudios arbeiteten. Zur Zeit der Mauer war dann wieder, wie zu Beginn, Durchfahren ohne Aussteigen angesagt. Transitreisende aus Westberlin fuhren durch hohe Mauern und bellende Hunde. Rein und raus durften nur die Grenzkontrollen, und laut DDR-Landkarten existierte der Bahnhof nicht einmal. (Damit war Griebnitzsee quasi das Berliner Pendant zum sächsischen Gutenfürst.)
Der Teltowkanal verbreitert sich in Griebnitzsee zu einem See namens, Sie erraten es, Griebnitzsee. Der ist aber immer noch relativ schmal und könnte fast als Kanal durchgehen. Glaube ich. Besonders viel konnte ich vom Ufer aber eh nicht erkennen.
Schuld daran ist Brandenburger Regierung. 2003 bot der Bundesfinanzminister den Bundesländern an, die Mauergrundstücke gratis zu übernehmen. Thüringen nahm an, Brandenburg lehnte ab. Also wurde der Boden verscherbelt, ohne irgendein Wegerecht zu vereinbaren. Die Stadt Potsdam versuchte zwar trotzdem, einen öffentlichen Uferweg zu bauen, verlor aber vor Gericht. Egal, ob moderner Betonpalast oder historisches Wirrwarr aus Türmchen und Erkern: Die Villen haben den Willen, den See für sich zu behalten.
Andererseits: Irgendwie passt das in den historischen Kontext, denn dieses Ufer gehörte schon immer der Elite (zumindest, seit hier eine Maulbeerbaumplantage aufgegeben wurde). Der Kaiser saß nebenan im Schloss Babelsberg und zog die Schönen und Reichen (oder zumindest die Reichen) an wie das Licht Motten. Damit die einfachen Handwerker aber nicht "unruhig" wurden, erließ der Kaiser eine Bauverordnung: In Richtung Straße bitte nicht protzig, sondern preußisch-schlicht bauen. Die Reichen besuchten sich sowieso lieber über ihre Boote und Terrassen auf der Seeseite.
In den Goldenen Zwanzigern wohnten hier vor allem erfolgreiche Künstler und Schauspieler der Filmstudios. Nicht wenige waren Juden und mussten ihre Villen in der Nazizeit zurücklassen. Im Sommer 1945 zogen noch prominentere Gäste ein: Die drei mächtigsten Männer der Welt machten es sich bequem im Haus-Erlenkamp der Truman-Villa, in der Villa Urbig Churchill-Villa und der Villa Herpich Stalin-Villa. Die großen drei übernahmen sofort die Tradition der Stadt, die sie gerade erst besiegt hatten: Sie besuchten sich nur per Schiff auf der Seeseite und bauten extra eine Pontonbrücke rüber zum Schloss Cecilienhof.
Dem Ort, an dem die Potsdamer Konferenz stattfand.
An dem die Teilung Deutschlands ihren Anfang nahm.
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