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Flüsse

Noch mehr Radreisen

11 September 2021

Weser: Von Nordenham nach Sahlenburg

Weser-Tag 9: Die Weser-Weltreise

gefahren im: Juni 2022
Start: Campingplatz Sahlenburg
Ziel: Campingplatz Nordenham
Länge: 60 km
Weserquerungen: 1 (Fähre)
Ufer: rechts, außer am Anfang
Bundesländer: Niedersachsen, Bremen
Landschaft: Wälder, Watt und Wiesen
Wegbeschaffenheit:
 Radwege und Kieswaldwege
Steigungen: wenige Hügelchen
Wetter: Wechselsommer
Wind: Westwind
Highlight: Auswandererhaus & Klimahaus Bremerhaven
Größte Hürde: gesperrte Drehbrücke im Hafen
Zitat des Tages: "Bin unterwegs, komme zurück in zwei Jahren."
- Anrufbeantworter von Axel Werner -

1. Wenn Sie auf dem Weserradweg vom Nordenhamer Zentrum kommen, umrunden Sie das Nordemhamer Industriegebiet auf Hauptstraßen, an denen sich drei verstümmelte Windturbinen drehen. Möglicherweise werden in Nordenham kaputte Windräder hergestellt.

2. Setzen Sie Ihre Reise auf Deichradwegen fort, diesmal allerdings ohne Kegel. Es geht zwischen stillen steinernen Vorgärten und Fabriken hindurch.

3. Erreichen Sie den Fähranleger in Blexen und fahren Sie auf das rostige Brückenanlegerdingsbums hinaus. Nebenan liegen ungefähr doppelt so hohe verrostete Röhren. Möglicherweise werden in Blexen rostige Windräder hergestellt.

Hier verkehrt die letzte (und mit 4,2 Euro teuerste) Weserfähre, danach ist der Fluss zu breit. Nehmen Sie das Schiff, Ihnen bleibt keine Wahl. Checken Sie vorher den Fahrplan, der an eine Straßenbahn erinnert: Mal fährt das Schiff stündlich, manchmal auch alle 20 Minuten.

Wundern Sie sich nicht, wenn Sie das kleine Leuchttürmchen auf der Mole nicht mehr sehen - es ist inzwischen eingestürzt, weil die Stadt es nicht gepflegt hat.


Die Weser wird hier so richtig breit, und der Weserradweg trifft auf den Nordseeküsten-Radweg.
Glauben Sie deswegen aber nicht, die Weser sei zu Ende.
Komischerweise ist sie das nicht.
Die Unterweser wird nur zur Außenweser.


4. Die Fähre legt an der Mündung der Geeste an. Um den großen Straßen auszuweichen, folgen Sie dem Nebenfluss in die eindrucksvolle Innenstadt von Bremerhaven. Sie ist längst nicht so schön oder alt wie Bremen, aber ihre Geschichten hängen eng zusammen:
Als die Weser verschlammte und die Schiffe ihr Zeug lieber in Brake abluden, hatten die Bremer ein Riesenproblem. Gegen eine ordentliche Stange Geld verkaufte ihnen das Königreich Hannover 1827 geeignete Grundstücke am Meer, auf denen sie einen neuen Hafen bauen konnten, den sie aus akutem Mangel an Kreativität Bremer Hafen nannten - aber mit V, damit die Bedeutung nicht zu offensichtlich ist! Der Hafen wurde belächelt und kam eine Weile nicht richtig in Fahrt.
Gleichzeitig gab es auch eine unabhängige Nachbarstadt namens Wesermünde, die von den Bauern und Fischern aus dem Wurster Land gegründet wurde. Den freiheitsliebenden Wurstern waren die machtgierigen Bremer wurst. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, während Berlin geteilt wurde, schlossen sich Bremerhaven und Wesermünde zusammen, denn da war alles andere eh wurst. Heute werden Sie nicht erkennen, wo die Grenze von Wesermünde verlief.


5. Wenn Sie etwas Eindrucksvolles sehen wollen, fahren Sie rüber zu den Havenwelten. Das ist ein Haufen futuristischer Glaskästen mit vielen Museen. Das Aushängeschild der Stadt erreichen Sie wahlweise über verschiedene Klappbrücken oder einen Glastunnel. (Der bringt Ihnen aber nur was, wenn Sie gerade im Parkhaus ausgestiegen sind, durchradeln können Sie da nicht. Auf den Brücken ist es allerdings auch nicht so einfach mit den Fußgängern.)
Als erstes erwartet Sie das U-Boot Wilhelm Bauer. Es ist etwas kleiner als das U-Boot in Kiel, dafür liegt es noch im Wasser.


Auch ein Zoo am Meer gehört dazoo, selbstverständlich mit Robben und Leuchtturm.

Sie befinden sich auf dem Breitengrad 8° 34' Ost. Auf dieser Linie liegen Bremerhaven und die Weser. Die Weser kennen Sie ja nun schon. Möchten Sie auch noch den Rest des Breitengrades bereisen? Es kostet nur 12 Euro.
Das Museum Klimahaus folgt der Spur des Bremer Weltreisenden Axel Werner. Zu jedem Land existieren mehrere Räume mit der richtigen Kulisse, Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Auf dem Breitengrad liegen:
  • Ein Berg in der Schweiz. Brr, der Gletscher ist kalt!
  • Eine zwei Meter hohe Getränkedose in riesigen Grashalmen auf Sardinien
  • Eine großes Stück Wüste in Niger mit genau einem vertrockneten Baum. Uff, ich habe Durst!
  • Das extrem schwüle, dunkle Regenwald-Labyrinth in Kamerun - meine liebste Station
  • Ein schmaler Pfad im Eis der Antarktis. Aaah, schnell raus hier!
  • Felsen mit Schlingpflanzen, eine Kapelle und zahlreiche Aquarien auf Samoa. Wunderschön!
  • Trampoline in der felsigen Ödnis von Alaska
  • Die deutsche Hallig Langeneß: eine Insel aus Kunstrasen, auf der Sie bei Flut vom Wasser umschlossen werden
Ganz interessant ist auch, wie die Entfernungen zwischen den Reisezielen zurückgelegt werden. Anfangs sind die Verkehrsmittel noch irgendwie glaubwürdig, aber mit der Zeit werden Sie immer abstrakter: Per Bahn (das heißt, Sie laufen auf einem Bahngleis), per Sessellift, per Flugzeug, per Himmelsleiter oder unter Wasser.


Sollten Sie nach dem kompletten achten Breitengrad immer noch an Fernweh leiden, können Sie nach Amerika auswandern. Das andere große Museum nennt sich nämlich Auswandererhaus. Hier geht es um das Geschäftsmodell, das den Hafen von Bremerhaven erst so richtig ins Rollen gebracht hat.
Erhalten Sie am Eingang schon wieder eine andere Identität inklusive Pass und Fahrkarte. Lauschen Sie in der Wartehalle von Bremerhaven einer hochgradig unnötigen Einführung. Falls Sie nicht wissen, wer Sie (also Ihre Museumsidentität) sind, suchen Sie in Schubladen und Kopfhörern nach Infos über sich selbst. Die Kopfhörer aktivieren Sie, indem Sie ihren Ausweis drauflegen, weil ein Knopfdruck wohl zu langweilig wäre.
Besteigen Sie anschließend ihr Schiff. Die älteren Segelschiffe waren furchtbar. In den engen Holzverschlägen auf dem Zwischendeck sind 1,8 % der Passagiere an Krankheiten und Mangelernährung gestorben. (Damit hatte Bremerhaven noch eine echt gute Quote, Hamburg hatte 1 Prozent mehr und Großbritannien sogar 3,1 %.) Noch gar nicht einberechnet ist, dass jedes sechste Segelschiff sowieso aufgrund von Verzögerungen im Betriebsablauf außerplanmäßig am Meeresgrund endete.
Nehmen Sie also unbedingt ein Dampfschiff vom Ende des 19. Jahrhunderts, dort wurde sogar in der Dritten Klasse ganz gutes Frühstück serviert, und die Überfahrt dauert nur 10 Tage anstatt 6 Wochen. Aber arbeiten Sie bloß nicht als Heizer. Die Arbeit ist so anstrengend, dass sich vor 1900 zwischen 4 und 16 % der Heizer pro Fahrt das Leben nahmen.


Wenn Sie auf Ellis Island in New York ankommen, achten Sie darauf, möglichst stark und gleichmäßig die Treppe hochzulaufen. Sonst werden Sie heimlich mit einem Kreidekreuz am Mantel als Kranker markiert und das mit der Einbürgerung wird schwierig. Falls Sie zu den wenigen gehören, die nicht genommen werden, muss die Reederei Sie gratis zurückschiffen.
Haben Sie es geschafft, suchen Sie auf dem Bahnhof Grand Central Station in New York ihren Wunsch-Wohnort aus. Unter anderem stehen Ihnen etwa 10 Orte namens Bremen in den USA zur Verfügung (die auf der Karte unten rechts blau leuchten).
Ob Sie vor Hungersnöten fliehen, in Europa als Frau Ihren Schulabschluss nicht machen konnten, einen deutschen Supermarkt eröffnen oder einfach einen höheren Lohn wollen, spielt grundsätzlich keine Rolle. Nur zwei Tipps:
Wenn Sie vor dem deutschen Wehrdienst fliehen, weil Sie nie in Ihrem Leben eine Waffe in die Hand nehmen wollen, sind die USA eventuell nicht das optimale Ziel.
Wenn Sie dagegen vor den Nazis fliehen, ist Brasilien eventuell nicht das optimale Ziel. Ansonsten könnten schon bald ganz ähnliche Leute wie die, vor denen Sie geflohen sind, Ihre selbstgegründete Siedlung infiltrieren und versuchen, sie in ein völkisches Musterdorf umzuwandeln. So ging es Erich Koch-Weser, dem ehemaligen deutschen Vizekanzler, mit seinem Dorf Rolandia (eine Siedlung nach Bremer Vorbild).

Recherchieren Sie schließlich am Computer nach der Auswanderungsgeschichte Ihrer eigenen Familie. Sollten Sie keinen total seltenen Nachnamen haben, lautet das Ergebnis: Hm, da waren echt viele in Amerika mit meinem Namen, aber woher weiß ich jetzt, wer davon mit mir verwandt war?

6. Passieren Sie die letzte Kneipe vor New York. Da Sie ja gerade schon in New York waren, müssen Sie nichts trinken.

Besteigen Sie einen Aussichtsturm, der nur aus Schiffscontainern besteh... ach, schade, die Klappbrücke dorthin ist kaputt.

Folgen Sie den straßenbegleitenden Radwegen einmal quer durchs Hafengebiet, an den Gleisen entlang, und umrunden Sie unbehelligt das Zollgebäude. Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland! Och, schön, da wollten Sie bestimmt schon immer mal hin.

Sie dürfen zwar nicht ganz bis zu den Container-Kränen am Wasser, aber schon ziemlich nah dran. Das ist eine Besonderheit - in Hamburg oder Rotterdam werden die Radler großräumig umgeleitet und müssen eine Hafenrundfahrt buchen, um derart viel zu sehen.
Das hat vielleicht auch seine Gründe. Achten Sie auf die Ausfahrten, aus denen ständig gefährliche LKWs rauskommen. Also, rein theoretisch. Außer Sie fahren am Wochenende, dann steht der ganze Hafen still. Das ist sicherer, aber auch langweiliger.


7. Hinter dem Hafen machen Sie einen kleinen Umweg, um die Brücke über einen Nebenfluss zu finden. Zur Belohnung dürfen Sie ein kurzes Stück direkt an der Nordsee fahren, noch vor dem Deich.
An dieser Stelle verändern sich schlagartig zwei Dinge:
Das Meer aus Hafenkränen ist zu Ende. Das Watt beginnt.
Bremen ist zu Ende. Niedersachsen beginnt, genauer gesagt das Wurster Land.
Das ist bitter für Bremen: Niedersachsen, Schleswig-Holstein und sogar Hamburg haben ihr eigenes Watt. Nur Bremen hat kein kein Wattenmeer. Oder besser gesagt: Bremen hat kein Watt mehr. Ich wette, die hatten eins, aber sie haben alles mit ihrem Hafen zugebaut, genau bis zur Grenze. Insofern: Selber schuld.
Die Weser fließt ein Stück vom Ufer entfernt und ist bei klarem Wetter leicht zu finden. Bei Ebbe Niedrigwasser sowieso, dann ist nur dort Wasser drin. Und bei Flut Hochwasser markieren rote und grüne Tonnen den Flusslauf. Anders ausgedrückt: Die Ufer der Weser sind jetzt sehr matschig und befinden sich manchmal unter Wasser. Kann man das überhaupt einen Fluss nennen? Ja, kann man, sonst wäre die Radtour schon vorbei.

Für einen besseren Überblick durchqueren Sie einen Friedhof und besteigen Sie den Ochsenturm. Der Sage nach haben zwei Ochsen bestimmt, dass hier der optimale Platz ist, um eine Kirche zu bauen. Im ständigen Kampf mit dem Meer sind zwei Dörfer, für die diese Kirche zuständig war, in einer Sturmflut untergegangen. Die Kirche hat durchgehalten, also hatten die Ochsen wohl irgendwie Recht. Erst 1881 war die Kirche so baufällig, dass die Gemeinde alles bis auf den Turm als Ziegelsteinbruch verkauft hat. Heute steht ein Stück entfernt ein modernes Kirchenschiff.
Ducken Sie sich und betreten Sie vorsichtig in einen finsteren Ziegelgang. Ist die Treppe etwa unbeleuchtet? Nein, nach ein paar Metern scheint wieder Licht rein. Sie benötigen keine Taschenlampe, außer wenn Sie sich dadurch wohler fühlen.

Einige Kilometer später bietet sich die nächste Gelegenheit, aufs Meer zu schauen: Besteigen Sie das Vogelbeobachtungshaus auf dem Deich... ach nee, lieber doch nicht, es sei denn, Sie halten Stufen als Bestandteil einer Treppe für entbehrlich. Dann schauen Sie eben vom Deich aufs Meer und suchen Sie nach Vögeln oder nach der Wesermündung. Kleiner Tipp: Vögel sind leichter.

In der Nähe von Wremen (der Ort wurde ganz bestimmt absichtlich so genannt, damit ihn alle mit Bremen verwechseln) teilen zwei Wattflächen namens Tegeler Plate und Robbenplate die Weser in zwei Hälften. (Robben können Sie vom Land aus trotzdem nicht sehen.) Die Schiffe benutzen nur noch den westlichen Arm, aber nicht einmal den können Sie von hier aus besonders gut erkennen.

Und noch ein Stück weiter nördlich, bei Misselwarden, knickt die Weser schräg ab und führt von der Küste weg. An der Stelle hat irgendein Geograph gesagt: So, das ist jetzt breit genug, ab jetzt nennen wir das Meer und nicht Fluss. Woraufhin die Seemänner gesagt haben: Mooment, also für uns ist das irgendwie schon noch ein Fluss, immerhin müssen wir da durchfahren, überall sonst ist es zu flach. Und die Bäche, die noch kommen, zählt ihr Geographen schließlich auch noch zum Einzugsgebiet der Weser. Und die Geographen sagten: Also gut, dann nennen wir das halt den Äußeren Teil der Außenweser.
Sie merken schon: Äußerungen zur Außenweser sind nur mit äußerster Vorsicht möglich. Ein richtiges Ende werden Sie nicht finden. Die Weser mündet nicht, sondern geht im Watt verloren.
Kein Wunder, dass sich der Weserradweg ein besseres Ziel gesucht hat.

Folgen Sie weiter dem Deich, auch wenn er sich in eine braune Baustelle verwandelt und Sie da nicht mehr raufdürfen.


8. Pausieren Sie in einem weiteren Melkhus und holen Sie sich gegen Kasse des Vertrauens... diesmal kein Eis, aber etwas ähnliches. Hier gibt es gekühlten Stracciatellajoghurt mit Cappuccino. Er schmeckt wie... Stracciatellajoghurt und Cappucino halt. So richtig fügen sich die beiden Komponenten nicht zusammen. Nehmen Sie lieber das Holundergetränk mit Ingwer, das ist super.


Erschrecken Sie sich vor einem Reh, das bei näherer Betrachtung nur eine Statue ist. Die vielen Hasen sowie eine Bisamratte, die Ihnen wortwörtlich über den Weg laufen, sind hingegen echt, aber zu schnell zum Fotografieren. Sie taugen nur für einen kurzen Moment des "Guck ma... ach nee, schon weg."


Durchqueren Sie schließlich das urige Naturschutzgebiet des Wernerwalds. Atmen Sie zur Abwechslung mal holzige statt salzige Luft ein.

9. Das Seebad Sahlenburg besteht aus zwei Teilen: In der ersten Reihe am Strand stehen Hotelkästen, weiter hinten folgen kleinere Häuser. Hinzu kommt ein eigenartiger Kirchturm, der wie ein Hochsitz aussieht.
Wollen Sie in Sahlenburg übernachten, müssen Sie sich mit den hinteren Reihen zufriedengeben. Die Campingplätze und Hotels am Meer sind entweder schon lange ausgebucht, nehmen keine Gäste nur für eine Nacht oder nehmen generell keine Zelte (obwohl ihr Logo ein Zelt zeigt), angeblich aus "Baumschutzgründen". Diese Ecke der Nordsee ist wahnsinnig beliebt. Eine Unterkunft zu finden ist Mitte Juni schwieriger als Mitte August an der Ostsee. Warum dat denn? Wegen des Wattenmeeres? Nee, als ob alle, die hier in ihrem Wohnmobil hocken, eine ausgiebige Wanderung im Matsch unternehmen. Wahrscheinlich einfach, weil hier so ein richtig schöner Sandstrand mit Dünen wartet. Also das, was es an der deutschen Ostsee fast überall gibt. Nee, es ergibt immer noch keinen Sinn.



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