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26 April 2022

Havel: Von Blumenow nach Zehdenick

Havelgeschwafel III: Das Ziegelgefriemel
Karfreitag am Ostersonntag - Tonteiche, die keine Teiche sind - Woher Berlin wirklich stammt - Schlösserknacken während der Öffnungszeiten - Dschingis Pfadi - Die kopierte Stadt

Am Ostersonntag war es ungewöhnlich still an der Havel. Nirgendwo läutete eine Kirchenglocke.

Wir hatten uns eine kurze, idyllische Tagesstrecke vorgenommen, die uns mitten durch die Tonstiche führte. Die Menschen haben hier Ton aus der Erde gebuddelt gestochen, und übrig blieben Löcher, die sich mit Wasser füllten. Die Seen Stiche sind nach irgendwelchen Ton-Profis (z.B. Rödererstich) oder Bäumen (z.B. Pappelstich) benannt und nicht mit der Havel verbunden. Ich fand sie kleiner, aber auch schöner als die niedersächsischen Kiesseen.

Der Ton gibt auf dieser Tagesetappe den Ton an. Wir wollten nämlich den Ziegeleipark Mildenberg besuchen. Das ist eine Mischung aus modernem Industriemuseum und Mini-Freizeitpark.
Als wir uns dem Gelände näherten, dachten wir noch ganz ahnungslos: Ui, das ist ja gut besucht. Stehen da etwa Zelte? Na, hoffentlich wird's nicht zu voll.
Doch an der Kasse erfuhren wir, dass mehrere Riesenhorden Pfadfinder das Außengelände komplett gebucht hatten. Uns blieben nur die Innenbereiche und die Rundfahrt mit der Ziegeleibahn. Na super. Wie passt es bitte zu einer Natur- und Friedensbewegung, eine Industriestätte komplett für sich zu beanspruchen und keine anderen Menschen zu dulden? Diese komischen Eroberungspfadfinder stammen wohl entweder aus dem Ruhrgebiet oder aus der Mongolei. Auf letzteres deuten die mongolischen schwarzen Zelte (Jurten) hin. Obwohl Dschingis Khan bei seinen Eroberungen vermutlich noch keine Zeltplanen mit Fenstern drin (hinten rechts im Bild) hatte.
Wie auch immer, erst einmal sind wir in die Ziegeleibahn eingestiegen. Nach einigen Schlenkern an der Havel steuerte die Bahn mitten auf das eroberte Pfadfindergebiet zu - aussteigen strengstens verboten. Die Pfadfinder winkten fröhlich, machten eine La-Ola-Welle, sie wirbelten auf der Drehscheibe am Spielplatz herum und fuhren auf Kettcars neben her. Überhaupt schienen sie nicht im Mindesten zu ahnen, dass wir irgendwie schlecht auf sie zu sprechen wären oder dass ihretwegen an Ostern so viele Kinder traurig aus der Wäsche schauten wie an keinem anderen Ort in Brandenburg.

Unsere kleine Diesellok ratterte ungefähr mit Schrittgeschwindigkeit durch ein Wirrwarr an Gleisen. Alle Gleise sind unterschiedlich breit haben unterschiedliche Spurweiten. Angeblich wurde das eingeführt, damit sich die Ziegeleien nicht mehr gegenseitig die Waggons Loren klauen.
Ab und zu stieg der Lokführer aus, schlenderte zur Mitte des Zugs und sprach zu uns. Gelegentlich kamen seine Schallwellen sogar an unserem Ende des Zuges an. Er zog in Berliner Schnauze kurz und knapp seine übliche Führung durch, nur eben ausnahmsweise im Konjunktiv, weil heute nichts ging: Hier könnten Sie eine Spezialausstellung sehen, dort könnten Sie ein Floß selber über den See ziehen und da hinten dürften Sie Schienenfahrrad fahren (eine Art Fahrraddraisine für nur eine Person).
Die Fahrt geht auch durch eine Fabrikhalle, die mal Europas modernste Ziegelei war.

Der wichtigste Schritt beim Ziegelmachen war selbst während der Industrialisierung noch Handarbeit. Man klatsche den Ton in eine Holzform und streiche ihn mit einem Stock glatt. Das durften wir selbst ausprobieren. Was quasi sofort dazu führte, dass unsere Hände farblich selbst an einen Ziegel erinnerten, lange bevor wir einen richtigen Ziegel in der Hand hielten.
Das Ziegelstreichen erinnert ein bisschen ans Plätzchen ausstechen: Am kniffligsten war es, das Ergebnis aus der Form zu lösen, ohne dass wir hinterher gleich von vorn anfangen mussten.

Beim zweiten Versuch hatte mein Ziegel eine annähernd rechteckige Form. Immerhin sah er besser aus als die hier. (Die Ziegelei hatte extra eine Mühle, um solche sogenannten Fehlbrände zu schreddern.)

Erst in der DDR übernahm die Maschine links im Bild das Schneiden.

Nach dem Schneiden landen die Steine im Ringofen. Und wir sollten dort auf unserem Rundgang auch landen, theoretisch. Aber irgendein Besucher hatte die Tür ins Schloss fallen lassen. Kein Problem: Mit seinem Taschenmesser hatte Papa das Schloss innerhalb einer Sekunde geknackt.
Das Brennen im Ringofen durften wir selbst ausprobieren, also quasi, aber nicht mit dem selbstgemachten Ziegel. Das Museum hat zwei Ringöfen. Der eine beinhaltet eine moderne Ausstellung, der andere ist etwas leerer. Dort nahmen wir uns einen digitalen Plastikziegel vom Tisch. Während wir durch die Temperaturzonen schritten, leuchtete er immer roter: Erst 30 Grad (hach, ein schöner Sommertag, fast wie draußen), dann 60 (apropros, in die Sauna könnte ich auch mal wieder gehen) und dann 1800 Grad (ups, ich bin tot).
Eigentlich ist das irreführend. Im Ofen wanderten nicht die Ziegel, sondern das Feuer. Die Steine wurden in eine Stelle des Feuerrings eingemauert und irgendwann wieder rausgeholt.

Der endlose Rundgang des Feuers wurde in der ersten Etage kontrolliert, mit Hilfe solcher Schüttöffnungen.

Zum Schluss wurden die Ziegel auf ein Schiff verladen. Bevor der elektrische Kran erfunden wurde, geschah das mithilfe einer Ziegelrutsche (im Prinzip einfach ein Brett).
Das Hafenbecken ist direkt mit der Havel verbunden, die rein zufällig nach Berlin fließt. Berlin wurde aus dem Kahn erbaut, heißt es, und dieser Kahn befand sich genau hier. Darauf weist die Website der Ziegelei nur ungefähr 37 Mal hin (während eventuell auftauchende Eroberungspfadfinder keine Erwähnung wert sind).

An der Mühle von Zehdenick rauscht die Havel so richtig wild vor sich hin - zum ersten Mal, soweit ich das beurteilen kann. Ansonsten ist das ein äußerst ruhiger Fluss.

Zehdenick ist in so gut wie jeder Hinsicht das Malchin Brandenburgs. Die vielen Gemeinsamkeiten sind erstaunlich.
Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass Sie noch nie in Malchin waren und mit diesem Vergleich nix anfangen können, zähle ich alle Gemeinsamkeiten auf:
  • Zehdenick hat ein altes Kloster (wie in Himmelpfort mit Schlingpflanzen drauf).

  • Zehdenick wurde während der Industrialisierung bekannt für seine Textilien (und natürlich für die Ziegel).
  • Zehdenick hat eine absolut öde, unspektakuläre Innenstadt, doch sobald wir uns ans Flussufer begeben, wurde es richtig schön und wir konnten mit wunderbarem Ausblick essen gehen.
  • Zehdenick liegt an einem Fluss, der zur Hälfte aus Mecklenburger Seen besteht.
  • Das inoffizielle Wahrzeichen von Zehdenick ist eine ungewöhnliche Brücke, die für vorbeifahrende Schiffe Platz macht, was jedes Mal eine ganze Weile dauert. (Die Hastbrücke wurde 1801 nach einem Stadtbrand gebaut. Damals war sie eine Zugbrücke aus Holz, heute eine Hubbrücke aus Stahl. Wenn sie nach oben gleitet, müssen Radfahrer entweder warten oder ihr Rad die Treppe rauf über die höhere Fußgängerbrücke schleppen.)

Unsere Unterkunft ist etwas ganz Besonders - ein Schlosszimmer, und zwar nicht irgendeins. Dagegen kann das Elbschloss in Lenzen nicht anstinken!
Wir schlafen in einem gemütlichen Raum im Erdgeschoss eines gelben Havelschlosses. Direkt hinter den Balkontüren können wir durch einen Park an der Havel schlendern. Auf dem Wasser paddeln Schwäne, am anderen Ufer erheben sich zwei hübsche weiße Brücken über zwei Nebenflüsse. Abends setzte ich mich vors Fenster und beobachtete, wie die Sonne über dieser Parkanlage unterging. Entsprechend saftig fiel am nächsten Morgen leider die Rechnung aus.

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